Wir sind remote gegangen!

Warum wir uns dazu entschieden haben und wo wir uns gerade befinden – wörtlich und im übertragenenen Sinne.

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von Nicole Winchell, November 21, 2019
Remote arbeiten am Meer

Vor ca. drei Monaten haben wir uns dazu entschlossen, etwas zu tun, über das wir schon seit Jahren nachdenken: wir sind komplett remote gegangen.

Die Gründe für diesen großen Schritt waren sowohl persönlicher, als auch pragmatischer Natur. Wir sind ein internationales Team mit einem globalen Mindset – das Leben hat uns also schon oft an andere Orte gerufen. Diese Grundeinstellung und Flexibilität waren schon immer Werte von uns und werden tatsächlich vom ganzen Team gelebt. tbd* gibt es jetzt sechs Jahren und daher erscheint es uns als logische Konsequenz, dass wir es uns als Individuen gestatten, außerhalb von Berlin zu wachsen, zu lernen und genauso zu gedeihen, wie es unsere Plattform seit 2014 tut.

Definition Remote Work/ Arbeit:
Mitarbeiter*innen arbeiten nicht zentral von einem Büro aus, sondern von verschiedenen Orten. Dies kann zuhause sein, aber auch ein CoWorking Space oder eine Bürogemeinschaft.

Die anderen Gründe waren eher ideologischer Natur. Als Sprachrohre für New Work schien es eine Gelegenheit zu sein, den Weg zu gehen und nicht nur darüber zu reden. Wir waren bereits mitten in einem Change-Prozess und es schien der perfekte Zeitpunkt zu sein, eine neue Arbeitsweise auszuprobieren. Das Home Office war bereits ein etablierter Bestandteil unseres Arbeitsalltags. Tatsächlich gab es Tage, an denen niemand im Büro war. Manchmal kamen nur ein oder zwei Personen ins Büro, so dass sich die Arbeitsumgebung etwas leer und ungeliebt anfühlte. War es sinnvoll, weiterhin an einem Arbeitsmodell festzuhalten, das nicht mehr den Bedürfnissen unseres Teams zu entsprechen schien? Wenn wir als Unternehmen nicht etwas Neues ausprobieren, indem wir die traditionelle Art wie oder wo wir arbeiten, über den Haufen werfen, stehen wir dann auch wirklich dafür, die Arbeitswelt zu ändern? Die Antwort lautet: Nein.

Und wir sind mit unseren Schlussfolgerungen nicht allein. Ein Ende des Remote-Trends ist noch lange nicht in Sicht – im Gegenteil: die Anzahl der Menschen ohne festes Büro steigt immer weiter an. Wenn Generation Z in die Arbeitswelt eintritt, ist davon auszugehen, dass ihre Werte mehr Unternehmen dazu bringen werden, eine flexiblere Arbeitspolitik zu verfolgen und zumindest teilweise Remote Arbeit zu ermöglichen.

Es war ein langsamer und zugleich organischer Prozess, der uns auf diesen Weg gebracht hat. Schon in der Vergangenheit gab es einzelne Fälle, bei denen Kolleg*innen für einen bestimmten Zeitraum remote gearbeitet hatten. Team Mitglieder gingen nach Südafrika, die USA, auf die Philippinen, nach Spanien oder fuhren mit einem Bus durch Brandenburg. In dieser Zeit lernten wir eine wertvolle Lektion: wenn ein paar Leute im Büro sind und ein paar nicht (egal, ob sie sich in Neukölln oder am anderen Ende der Welt befinden) verlieren sich die Informationen zwischen ihnen. Es hat sich herausgestellt, dass die Kommunikation einfacher ist, wenn alle am gleichen Ort sind (oder eben nicht). Als einige Teammitglieder entschlossen haben, nicht mehr in Berlin leben zu wollen, war es also der logische nächste Schritt für uns, dass ab diesem Zeitpunkt ganz tbd* remote arbeiten würde. Ganz oder gar nicht eben. Es ist uns dabei wichtig zu erwähnen, dass wir nicht zu “Digitalen Nomaden” geworden sind, die alle permanent um die Welt jetten, sondern dass die, die sich entschieden haben aus Berlin wegzugehen, langfristig ihren Wohnort verändert haben. Wir sind als Unternehmen stets darauf bedacht, unsere Flugmeilen so gering wie nur möglich zu halten und alternative Fortbewegungsmittel werden immer bevorzugt. Es gibt allerdings Fälle, in denen kein Weg an einem Flug vorbeiführt. Dafür haben wir Regeln bei tbd* eingeführt, die das so ausgestoßene CO2 wieder kompensieren.

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Neben der Möglichkeit sich räumlich zu verändern, hat das Remote Arbeiten aber noch weitere Vorteile für uns: wir können auf einen größeren (internationalen) Talentpool zugreifen, haben die laufenden Kosten unseres Büros nicht mehr, verringern unsere Pendelzeiten und haben so vielleicht sogar einen niedrigeren CO2 Fußabdruck als zuvor, als wir noch zwischen Berlin und anderen Standorten hin- und hergefahren sind. Aber bei all den Vorzügen, war uns von Anfang an klar, welche Nachteile so eine Arbeitsweise beinhalten kann. Würden wir ohne gemeinsame Mittagessen, Feierabendbiere oder spontane Gespräche am Kaffeeautomaten nicht den persönlichen Bezug zueinander verlieren? Und was würde mit unserer Verbindung zu unserer – vor allem in Berlin ansässigen – Community passieren? Würde die Kommunikation im Team unter den neuen Umständen leiden und zu Chaos führen?

Wir sind nun mehr als drei Monate remote, haben uns mehr oder weniger eingelebt und würden gerne mit euch einige unserer Erfahrungen und Reflektionen zum Thema teilen.

Gut strukturiert

Der erste Schritt war es, eine Kommunikationsstruktur zu etablieren, die über lange Distanzen funktioniert und die für den digitalen Raum geschaffen ist. Bisher halten wir uns an die folgende Meetingstruktur:

  1. Tägliche Meetings: diese kurzen Videokonferenzen (via Zoom oder Skype) dauern nicht länger als 15-20 Minuten. Fester Bestandteil ist ein Check-In, sowie ein Check-Out, in welchem jedes Teammitglied seine momentane Gefühlslage teilt. Ansonsten ist der Inhalt des Meetings offen gehalten. Egal ob Anekdoten des vergangenen Wochenendes, Fragen und Neuigkeiten über laufende Projekte oder spannende Artikel, die wir gelesen haben – das tägliche Meeting ist der richtige Ort für kurze Impressionen und schnelle Updates.
  2. Wöchentliches Meeting: Einmal in der Woche halten wir ein längeres Teammeeting (ca. 1 Stunde) ab, in welchem Entscheidungen getroffen und Informationen ausgetauscht werden. Um alle Themen zu bearbeiten, verfassen wir in der Zeit zwischen den wöchentlichen Meetings eine Agenda, auf die jede die Themen schreibt, die sie gerne mit den anderen besprechen möchte.
  3. Team Coaching: alle zwei Wochen findet eine Coaching Session für das ganze Team statt. Dafür haben wir eine externe Coachin engagiert. Die Entscheidung dazu fiel, als uns bewusst wurde, dass einen die Kommunikation im digitalen Raum manchmal vor Herausforderungen stellt. Es ist zum Beispiel schwieriger die Körpersprache zu interpretieren oder ein Gesicht zu lesen. Es ist sehr leicht, jemanden via Email oder in einem geschriebenen Chat falsch zu verstehen, bzw. ihre Aussagen falsch zu interpretieren. Während dem Team-Coaching besprechen wir solche Fälle oder andere Probleme untereinander.
  4. Zweimal im Quartal stattfindendes Team-Meeting: alle zwei Monate kommen wir zusammen, um eine längere Strategie-Sitzung abzuhalten. Diese beinhaltet einen Rückblick auf die letzten zwei Monate und die Planung der nächsten. Jedes zweite dieser Meetings findet in Person statt, inklusive viel Zeit für gemeinsame Aktivitäten. Diesen Monat zum Beispiel treffen wir uns alle zum ersten Mal wieder in Berlin.

Aufgrund dessen, dass wir bereits viel im Home Office gearbeitet haben und somit das Remote Arbeiten in seinen Grundzügen schon kennengelernt haben, waren wir bereits mit den meisten der digitalen Tools ausgestatten, die wir heute benutzen. Unternehmen, die ihren Mitarbeiter*innen vorher kein Home Office angeboten haben, werden wahrscheinlich mehr Umstellungen benötigen, als es bei uns der Fall war.

Unser wichtigster Kommunikationskanal ist Slack. Bei dem Chat-Tool helfen uns verschiedene Channels Themen zu organisieren und somit auch uns. Außerdem erlaubt es durch GIFs und andere Gimmicks, dass wir untereinander auch einfach mal so “quatschen” können. Zoom ist unsere erste Wahl bei Video Konferenzen, während Trello sich als Management Tool bewährt hat. Schon vor Jahren haben wir angefangen, ein Knowledge System – eine Art firmeninterne Bibliothek – anzulegen, in dem wir Arbeitsabläufe dokumentieren, wichtige Dokumente ablegen und für alle Mitarbeiter*innen zugänglich machen. Doch trotz all der Planung, sind wir vor Fehlern und unvorhergesehen Hürden nicht gefeit gewesen. Wie alles im Leben, war und ist es ein ständiger Lernprozess, an dem wir nach wie vor unentwegt arbeiten.

Lektion gelernt

Nachdem wir alle organisatorischen Unannehmlichkeiten aus dem Weg geräumt hatten, war es Zeit ins kalte Wasser zu springen und das Remote Arbeiten endlich zu leben. Wie würde es sich eigentlich für uns anfühlen? Wir konnten die Antwort darauf nicht abschätzen. Würden wir alle vereinsamen? Oder würde es die Freiheit bedeuten, die wir uns so ersehnt hatten? Wie sich herausstellte, ist die Antwort nicht so einfach. Und,das wird jetzt niemanden überraschen, obwohl es eine Erfahrung ist, die das ganze Team teilt, sind die Schlussfolgerungen der Einzelnen sehr unterschiedlich.


Das tbd* Team während eines Meetings.

Was war also unsere größte Überraschung? Auch wenn es bestimmt viele verwundert: unsere Kommunikation als Team hat sich tatsächlich verbessert, seitdem wir alle remote arbeiten.

“Wir kommunizieren öfter, länger, tiefgründiger und lachen sogar mehr, als wir es im Büro getan haben.”

“Ich hatte Angst, mich von meinen Kolleginnen zu distanzieren, weil wir uns nicht mehr jeden Tag “physisch” sehen würden. Komischerweise ist aber genau das Gegenteil eingetreten. In unserer täglichen Videokonferenz scheint jede einzelne konzentrierter und fokussierter zu sein, als damals im Konferenzraum des Büros.”

Was hat die Remote Arbeit sonst für Vorzüge? Zeit und Flexibilität, was eine Verbesserung der allgemeinen Lebensqualität zur Folge haben kann. 

“Ich musste früher mindestens 2 Stunden am Tag in öffentlichen Verkehrsmitteln verbringen, um zur Arbeit zu kommen. Diese 2 extra Stunden, die ich jetzt nicht damit verbringe mich in die volle U-bahn zu quetschen, ständig sicherstellend, dass niemand versehentlich auf den Schwanz meines Hundes tritt, haben meine Lebensqualität auf jeden Fall gesteigert.”

Und sicherlich haben wir nun mehr Freiheiten als zuvor. Eine von uns lebt zur Zeit in Stockholm, eine andere in einer Hütte an der Küste Maines. Die Möglichkeit jederzeit Freunde oder Familie zu besuchen und von dort arbeiten zu können fühlt sich wie purer Luxus an.

“Was ich am meisten an der Remote Arbeit schätze? Die Möglichkeit von überall zu arbeiten. Zum Beispiel reise ich ja gerade mit dem Zug durch Deutschland, Holland und Belgien, um Freunde zu besuchen, die ich schon lange nicht mehr gesehen habe. Ich nehme meine Arbeit dabei einfach mit.”

Wie schon vermutet, stellt die soziale Isolation uns bisher vor die größte Herausforderung. Für viele von uns ist die soziale Komponente am Arbeitsplatz enorm wichtig. Was passiert in einer Welt, in der die Menschen immer mehr vereinsamen, wenn wir ihnen die Interaktion im Büro auch noch wegnehmen? Und auch unserem Team geht es da nicht anders. Auch Forbes schreibt, dass der Verlust der Gemeinschaft die größte Herausforderung am remote arbeiten ist – ganze 21% gaben “Einsamkeit” als größtes Problem ihrer Arbeit an.

“Ich vermisse die kurzen Gespräche zwischendurch, genauso wie unsere gemeinsamen Mittagessen. Wir versuchen es mit den täglichen, digitalen Meetings auszugleichen, aber es ist einfach nicht dasselbe, wie mit den Kolleginnen im gleichen Raum zu sitzen und zu quatschen… Es ist traurig, den ganzen Tag alleine zuhause rumzusitzen und niemanden zu sehen.”

Allerdings gab es auch Fälle im Team, bei denen das Wegfallen des Büros genau gegenteilige Konsequenzen brachte.

“Ich dachte, dass die Remote Arbeit mich zur Einsiedlerin machen würde. Aber merkwürdigerweise ist genau das Gegenteil eingetreten. Ich habe irgendwie viel mehr Energie übrig, um Leute zum Mittagessen zu treffen oder nach Feierabend auszugehen. Früher war ich nach der Arbeit oft zu müde dafür.”

“Ich habe bemerkt, dass ich mir mehr Mühe gebe zu socializen. Es passiert ja nicht mehr automatisch, wie im Büro. Momentan habe ich das Gefühl, dass ich mehr auf andere Menschen zugehe und soziale Interaktionen mehr wertschätze als zuvor.”

Eine weitere Herausforderung ist es, die Arbeit an einem bestimmten Zeitpunkt zu beenden, vor allem wenn das Teammitglied nicht in einem CoWorking Space arbeitet. Wenn das Zuhause gleichzeitig das Büro ist, ist es manchmal schwer zwischen Arbeit und Privatleben eine klare Linie zu ziehen. Eine letzte Email, Frühstück vor dem Laptop oder einfach nur der Geist, der nicht abschalten kann, weil zwischen Arbeit und Zuhause keine physische Grenze verläuft. Nach drei Monaten haben einige von uns festgestellt, dass sie nicht von Zuhause arbeiten wollen.

Bürogemeinschaften sind die Lösung für beide vorher erwähnten Probleme. Momentan gehen fast alle aus unserem Team in ein CoWorking Space. Das hilft zum einen dabei nicht zu vereinsamen und zum anderen existiert so ein klarer Schnitt zwischen Arbeit und Zuhause.

Wie lautet nun unser Fazit?

Als wir unseren Investoren, Eltern und Arbeitskontakten erzählt haben, dass wir auf Remote Arbeit umstellen, begegnete uns eine gehörige Welle an Besorgnis und Skepsis. Die zugrundeliegende Frage war: “Wird es funktionieren?” Bisher scheint die Antwort “ja” zu sein. In geschäftlicher Hinsicht haben wir wenig Diskrepanzen erlebt, seit wir uns dazu entschieden haben. Allerdings war es bisher nur eine relativ kurze Zeitspanne, und was die langfristigen Auswirkungen betrifft, so ist es vielleicht noch zu früh, um ein finales Fazit zu ziehen. Sicherlich gibt es einige offensichtliche Vorteile – keine langen Wege, Flexibilität, die Möglichkeit zu reisen (bewusst!) und zu arbeiten – aber gehen diese Vorteile auf Kosten des einzelnen Menschen? Das Urteil ist noch nicht gefällt. Es bleibt spannend...