Es war einer dieser stillen Momente im Workshop. Das Team hatte gerade das Eisbergmodell vor sich - ein vertrautes Bild, doch da lag etwas mehr in der Luft. Wir sprachen nicht über Fachliches. Wir sprachen darüber, was im Raum wirkt, wenn Rassismus mit am Tisch sitzt.
Die Augen blieben auf dem unteren Teil des Eisbergs hängen - dort, wo uns oft die Worte fehlen und das wenig Wahrgenommene, das selten Ausgesprochene wirkt.
Dort stehen Begriffe wie Überanpassung, innere Kündigung, Scham, Nicht-Zugehörigkeit, ständige Wachsamkeit, Über-Performance, Verstummen. Aber auch Begriffe wie Suizidalität, Angst, Depressionen.
Es war still, weil klar wurde: Das ist nicht nur ein Modell aus der Theorie. Das ist die alltägliche Realität für viele.
Dieser Moment zeigt eindrücklich, worum es in der Debatte um psychologische Sicherheit wirklich gehen muss: um die Realität all jener, die in Teams arbeiten, aber sich nicht ganz zugehörig fühlen können. Deren Sicherheit brüchiger ist, weil das Team nie nur ein Team ist – sondern immer auch ein Ort, an dem aktuelle und vergangene Macht, Ausschlüsse und Verletzungen mitwirken.
Was bedeutet psychologische Sicherheit – und für wen?
Die US-amerikanische Sozialwissenschaftlerin und Harvard Professorin Amy Edmondson hat den Begriff in den 1990er Jahren geprägt. Gemeint ist ein Klima, in dem Menschen sich trauen, Fehler zuzugeben, Fragen zu stellen und Kritik zu äußern - ohne Angst vor Abwertung.
In Teams mit hoher psychologischer Sicherheit steigt nicht nur das Vertrauen, sondern auch die Innovationskraft.
Laut einer Studie von Google („Project Aristotle“) ist psychologische Sicherheit der entscheidende Faktor, warum manche Teams dauerhaft leistungsstärker, kreativer und kooperativer sind als andere.
Doch die Frage bleibt: Für wen ist dieser psychologisch sichere Raum wirklich sicher?
Externe Trainer*innen bieten einen klaren Prozess dafür an, psychologische Sicherheit im Team messbar und besprechbar zu machen - das Ergebnis: das Team kommt in den Austausch zur tatsächlich empfundenen psychologischen Sicherheit. Ein Fragebogen, der von Amy Edmondson entwickelt wurde, wird dabei oft als Grundlage genutzt, um die psychologische Sicherheit in Teams zu erfassen.
Wenn in den Teamergebnissen herauskommt, dass sich manche Personen weniger sicher fühlen, sich frei zu äußern als andere, kann das ein Anhaltspunkt und ein Einstieg in einen fruchtbaren Austausch sein.
Das setzt natürlich voraus, dass die Teammitglieder und die Führungskraft ein gemeinsames Verständnis für die Wichtigkeit von psychologischer Sicherheit haben.
In meiner Arbeit als Trainerin in der DE_CONSTRUCT Akademie und als Prozess- und Teambegleiterin begegnen mir immer wieder Situationen, in denen die Sicherheit scheinbar unvermeidlich im Raum schwindet: Es sind Situationen, in denen Diskriminierung und im speziellen Rassismus thematisiert werden.
Denn sobald Rassismus mit am Tisch sitzt - betritt Schweigen, Scham und Unsicherheit den Raum.
Das passiert doch immer, wenn es um Fehler geht, könnte man meinen. Warum die Tragweite der Unsicherheit, die durch die Thematisierung von Rassismus in den meisten Teams aufkommt, eine andere ist und welche Anforderungen ich daher für “echte” psychologische Sicherheit sehe, darauf will ich im Folgenden eingehen.
Wie psychologisch sicher ist mein Team für Menschen mit Rassismuserfahrungen? Du erhältst in diesem Artikel erste Anhaltspunkte und am Ende des Artikels die Einladung zu einem Quiz, welches dir eine konkrete erste Einschätzung geben kann.
Drei Perspektiven – ein Spannungsfeld
Drei Gruppen mit drei Erfahrungswelten in Bezug auf Rassismus finden sich in den meisten Teams wieder, sie arbeiten zusammen und sie sind es, die gemeinsam psychologische Sicherheit gestalten sollen:
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Menschen mit Rassismuserfahrungen
Sie erleben Ausschlüsse aufgrund von Rassismus und sind damit zum Teil sichtbar, mit äußeren Merkmalen und Zuschreibungen oder sie machen diese Erfahrungen subtiler, im Stillen.
Häufig werden sie in Teams zu „Expert*innen“ für Diskriminierung gemacht. Das ist kräftezehrend und selten freiwillig gewählt.
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Menschen mit einem gewissen Maß an Sensibilität für Rassismus
Sie erkennen zwar die Existenz von Rassismus an und wissen teilweise, dass es ein Belastungsfaktor ist, sind aber oft verunsichert und fragen sich: “Wann soll ich etwas sagen?” “Wie kann ich intervenieren?” “Ist das überhaupt meine Rolle?”
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Menschen mit sehr geringem Wissen oder ohne Vorwissen
Für sie wirkt das Thema Rassismus oft abstrakt, vielleicht sogar störend. Sie denken häufig von sich selbst, dass sie nicht rassistisch handeln, haben gute Absichten, aber kaum Wissen. Sie erkennen die Bezüge zwischen Rassismus und sich selbst nicht und fühlen sie daher oft als Nicht-betroffen und damit auch als Nicht-verantwortlich.Sie fragen sich: “Haben wir hier wirklich ein Problem, wir verstehen uns doch gut?” “Inwieweit betrifft uns Rassismus hier überhaupt?” und handeln dabei oft unbewusst rassistisch.
Drei Perspektiven, die gemeinsam einen psychologisch sicheren Teamraum miteinander etablieren sollen: Die Realität zeigt, dass psychologische Sicherheit für marginalisierte Personen genau an diesem Punkt scheitert. Die Schilderungen von rassismuserfahrenden Personen, die mir und uns in unseren Beratungen, Mentorings, Schulungen und Teambegleitungen begegnen, zeigen das immer wieder.
Denn fehlt das gemeinsame Grundlagenwissen und eine gemeinsame Sprache, um Diskriminierung und im speziellen Rassismus zu erkennen und zu benennen, kommt es automatisch zur Individualisierung struktureller Gewalt:
- Diskriminierung und im speziellen Rassismus werden dann nicht als gemeinsame Probleme oder Fehler anerkannt, die es zu lösen gilt.
- Personen mit wenig Vorwissen reagieren mit Abwehr und sprechen den direkt Betroffenen ihre Erfahrungen ab, sollte Rassismus thematisiert werden. Sind sie zudem in Machtpositionen (z.B. als Führungskraft oder Trainer*in) wird Abwehr bzw. Ignoranz für das gesamte Team durch ihr Verhalten normalisiert (zum Beispiel, wenn eine rassistische Aussage im Team Meeting unkommentiert bleibt oder von der Führungskraft relativiert wird)
- ein fehlender gemeinsamer Wissensstand wird der Tragweite von Rassismus nicht gerecht, sondern führt im Gegenzug zu Vereinfachungen und der Übertragung eines gesamtgesellschaftlichen und komplexen Phänomens auf einzelne Individuen, die institutionelle Verantwortungsübernahme bleibt aus. (So entsteht z.B. der fälschliche Eindruck, rassismusfreie Räume könnten einfach dadurch entstehen, dass dies vereinbart wird.)
- direkt Betroffene werden als Folge unreflektierter Dynamiken im Team isoliert und mit ihrer Kritik und ihren Erfahrungen alleine gelassen.
Fehlt in einem Team (und das ist bislang in den meisten Teams der Fall) ein gemeinsames Wissen und eine Sprache für Rassismus und Diskriminierung, dann ist dieses Team für rassismuserfahrende Personen eher ein Raum der psychologischen Unsicherheit.
Was braucht es also, damit psychologische Sicherheit wirklich entsteht?
Psychologische Sicherheit ist kein Selbstläufer. Sie braucht – insbesondere in Bezug auf Rassismus – bewusste und konkrete Schritte:
1. Innere Arbeit & Haltungsbildung
Führungskräfte geben hierbei, wie so oft, den Ton an. Ihre Haltung, ihre Sprache und ihre Bereitschaft, über Macht, Verletzung und Verantwortung zu sprechen, prägt die Teamkultur und kann entscheidende Impulse liefern. Wird Rassismus und Diskriminierung von Führungskräften ignoriert, bestärken sie damit bestehende diskriminierende Machtverhältnisse.
Gleiches gilt für externe Trainer*innen, Supervisor*innen und Coaches, die für das Team vertrauensvolle Räume halten sollen. Ihre Kenntnis und Haltung in Bezug auf Rassismus ist entscheidend - in ihren Ausbildungen fehlt dieses Wissen komplett oder ist sehr unzureichend.
2. Anerkennung der Relevanz des Themas für die Gesundheit und das Wohlbefinden der Mitarbeitenden
Rassismus und Diskriminierung sind gesundheitliche Belastungsfaktoren, das belegen etliche deutsche und internationale Studien (u.a. IKK 2021). Rassismus und Diskriminierung erzeugen Stress und rufen vermeidbare Erkrankungen hervor. Auch Rassismus, der beobachtet wird oder über den erzählt wird, belastet. Wissen darüber kann verbinden und entlasten. (DeZim, 2022).
3. Erweiterung der Fehlerkultur
Nicht nur sachliche Fehler, sondern auch diskriminierende Haltungen und Aussagen müssen besprechbar werden. Damit einher geht das Anerkennen, dass wir rassistisch sozialisiert sind und es in jedem Team rassistisches Verhalten gibt, was nur durch bewusstes Verlernen reduziert werden kann. Damit verschiebt sich die Thematisierung von Diskriminierung und Rassismus weg von Scham und Abwehr, hin zu einem gemeinsamen Commitment und einer Klarheit, die Sicherheit schenkt.
4. Geteiltes Wissen
Teams brauchen eine gemeinsame Sprache für Diskriminierung und Rassismus. Nur so entstehen Gespräche auf Augenhöhe, die nicht auf Kosten der direkt Betroffenen geführt werden.
5. Strukturelle Maßnahmen
Neben persönlicher Reflexion braucht es institutionelle Ansätze, die Barrieren abbauen: geschulte Ansprechpersonen, Schutzräume, sensibilisierte Supervision, Zugangsmöglichkeiten für marginalisierte Mitarbeitende.
Wie kann dein Team nun starten, wenn es um psychologische Sicherheit für marginalisierte Personen geht? Hier ein paar konkrete Wege zur Veränderung:
- Trainings für Führungskräfte
Wenn Führungskräfte lernen, was im Raum wirkt und wie sie empathisch und verantwortungsvoll mit Macht und Privilegien umgehen, entsteht erst das Vertrauen, mit dem sich psychologische Sicherheit aufbauen kann.
- Teamweiterbildungen & Supervision
Räume für gemeinsames Lernen, Reflektieren und eine gemeinsame Sprache finden, wirken für Teams entlastend und schaffen die Grundlage dafür gemeinsam und verbunden auf die Themen Rassismus und Diskriminierung zu schauen.
- Institutionelle Verantwortung
Wer psychologische Sicherheit will, muss sie gestalten und institutionell verankern. Dazu gehört, Rassismussensibilisierung bzw. Diversitätsorientierung als strategische Ziele in den verschiedenen Geschäftsbereichen mitzudenken und vor allem im Bereich Teamkultur als wichtige Nährboden für ein hohes Maß an psychologischer Sicherheit zu fördern.
Wann ist der richtige Zeitpunkt, Maßnahmen zu ergreifen?
- Bevor das Team “diverser” aufgestellt wird: Eine sensibilisierte psychologische Sicherheit sollte vor der Einstellung weiterer Teammitglieder initiiert werden, um die Bedingungen zu schaffen, in denen neue Teammitglieder sich sicher einbringen können.
- Nach bekannten Vorfällen von Diskriminierung: Wenn rassistische oder diskriminierende Vorfälle bereits aufgetreten sind, müssen Maßnahmen getroffen werden, um die Auswirkungen auf die Teamkultur zu adressieren und Vertrauen zurückzugewinnen.
- Wenn keine Rassismusmeldungen vorliegen: Auch wenn keine offiziellen Meldungen zu Rassismus oder Diskriminierung vorliegen, sollten Personalverantwortliche davon ausgehen, dass Diskriminierungserfahrungen nicht immer offen kommuniziert werden. In solchen Fällen muss das Team aktiv sensibilisiert und das Thema strukturell aufgearbeitet werden.
Psychologische Sicherheit klingt sehr einladend, braucht aber eine klare rassismus- bzw. diskriminierungssensible Haltung und die Bereitschaft, institutionelle Bedingungen zu schaffen, die Sicherheit für alle ermöglichen.
Rassismus sitzt mit am Tisch - in dem Moment, in dem wir das anerkennen und gemeinsam darauf schauen, was das mit uns als Menschen, als Teammitgliedern, als Unternehmen macht, schaffen wir erst die Grundlage für eine echte psychologische Sicherheit. Eine Sicherheit, die auch mit Unsicherheitsthemen, die trennen, professionell umgeht. Nur im offenen und informierten Austausch kann ein Vertrauen entstehen, was Teammitglieder mit Rassismuserfahrungen aus der Isolation und Vereinzelung löst und in eine echte Verbundenheit einbettet, in der Differenz und Kritik gehalten sind. Für Teams, die ihre Vielfalt nicht nur feiern, sondern wirklich und ehrlich leben wollen, beginnt der Weg genau hier.
Wenn du dich als Leser*in dieses Artikels jetzt fragst, wie es wohl um die psychologische Sicherheit bzw. Rassismussensibilität in deinem Team steht, lade ich dich ein, den kurzen Fragebogen zu machen, den ich im Rahmen meiner Tätigkeit für die DE_CONSTRUCT Akademie entwickelt habe. Er gibt dir eine erste Einschätzung, wo dein Team aktuell steht und wie sicher es für Personen mit Rassismuserfahrungen ist und liefert dir mögliche erste Handlungsoptionen, die du in deinem Team anwenden kannst.
Über die Autorin
Photo by: Consuelo Guijarro
Mashanti Alina Hodzode ist Trainerin und Facilitator für diversitätsorientierte und rassismussensible systemische Teamentwicklung und friedliche Veränderungsprozesse. Sie ist Mitgründerin der DE_CONSTRUCT Akademie, des sozialen Unternehmens GesellschaftSEIN und der Plattform MyUrbanology, auf der Schwarze und BIPoC Perspektiven, Ressourcen, Expert*innen, Vernetzungs- und Jobangebote dargestellt werden.
Mashanti Alina hat gemeinsam mit Diplom-Psychologin Stephanie Cuff-Schöttle den Rooted Care Ansatz entwickelt, ein Schulungs- und Begleitungskonzept, das innere Arbeit, emotionale Selbstführung und Achtsamkeit mit friedlichem Austausch, kritischer Wissensvermittlung, psychologischen Erkenntnissen und struktureller Verankerung im Kontext von Rassismus und Diversitätsorientierung verbindet. Sie ist ausgebildete Meditationslehrerin (Soulful Meditation) und Kommunikationswissenschaftlerin und verfügt über Weiterbildungen im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung, als systemische Teamcoach und in der Diversitätsorientierten Organisationsentwicklung.
Quellen:
- Studie „Vorurteile & Diskriminierung machen krank”, (2021), IKK classic in Kooperation mit dem rheingold Institut
- Nationaler Diskriminierungs- und Rassismusmonitor (NaDiRa), (2022), Deutsches Zentrum für Integrations- und Rassismusforschung (DeZIM)