„Regenerative Organisationen? Echt jetzt?! Brauchen wir wirklich noch ein neues Buzzword?“ – So oder so ähnlich war mein erster Gedanke, als ich das erste Mal von dem Konzept hörte.
Der Begriff „regenerativ“ ist spätestens durch regenerative Energien bekannt. Besonders spannend finde ich ihn in der Landwirtschaft: Dort baut man Böden auf, statt sie – wie in der industriellen Landwirtschaft – auszulaugen. Aber was bedeutet „regenerativ“ im Kontext von Organisationen? Brauchen wir dafür wirklich ein neues Wort – oder ist das einfach ein Rebranding von Nachhaltigkeit?
Nach Jahren im Studium und im Nachhaltigkeits-Team eines deutschen Start-ups war mein Verständnis von Nachhaltigkeit bereits recht tief. Viele Ideen, die ich unter dem Begriff „regenerativ“ kennenlernte, kamen mir daher zunächst vertraut vor.
Was also ist neu? Was bringt das Konzept uns – und kann es mehr als nur ein Buzzword sein? In diesem Artikel nehme ich dich mit auf meine Reise durch diesen Denkraum.
Regeneratives Wirtschaften als Mittel für eine nachhaltige Gesellschaft
„Regenerieren“ bedeutet laut DWDS: wiederherstellen, auffrischen, erneuern, wieder wirksam machen. Es steht dem „Degenerieren“ gegenüber – verbunden mit Begriffen wie Rückbildung oder krankhafter Veränderung. Die Logik ist klar: Aus einem degenerativen (Wirtschafts-)System heraus brauchen wir Wiederaufbau – und zwar auf vielen, vielen Ebenen. Denn offensichtlich hat uns die Art und Weise, wie wir in den letzten Jahrzehnten gewirtschaftet, gearbeitet und gelebt haben, in die Polykrise manövriert.
Regenerativität kann ein Weg sein, um die Chancen künftiger Generationen zu sichern – und uns als Gesellschaft zurück in den „safe and just space“ zwischen planetaren Grenzen und sozialem Fundament zu führen (Doughnut Economy, Kate Raworth).
Das Myzel regenerativer Organisationen
Ein Kernelement regenerativer Organisationen ist, dass sie die Systeme, in die sie eingebunden sind, anerkennen, wertschätzen und zu deren Erhalt beitragen – statt den eigenen Profit oder Nutzen zu maximieren. Das beginnt zum Beispiel mit der Frage: Was möchte unsere Organisation eigentlich Gutes in die Gesellschaft tragen (Purpose)? Und wie können unser Geschäftsmodell, unsere Aktivitäten, unsere Struktur tatsächlich darauf einzahlen? Oft fühlt sich das motivierend an: „Wir können ein sinnvolles Projekt in die Welt bringen und damit etwas verbessern!“ Gleichzeitig ist das nur möglich, weil uns Dinge zur Verfügung stehen – Strom, Bildung, finanzielle Mittel, Zeit – you name it. Die eigene Position im System zu reflektieren und anzuerkennen, dass diese Ressourcen Privilegien sind, für die wir auch Verantwortung übernehmen sollten, gehört genauso dazu! Auch wenn das wiederum manchmal der schwere Part ist.
Als Beispiel: Können wir ehrlich und authentisch was Gutes beitragen,
während wir gleichzeitig auf Kosten anderer wirtschaften? Das lässt sich plakativ gut am Beispiel Klimawandel zeigen: CO2 ausstoßen, aber keine Verantwortung für Klimanwandelfolgen zu übernehmen, bedeutet, dass andere Menschen - heute, in Zukunft, hier und woanders - die Schäden des Klimawandels tragen müssen. Viele dieser Gedanken lassen sich in bekannte Nachhaltigkeitsbegriffe wie Fußabdruck, Handabdruck, Systemdenken, planetare Grenzen, soziale Gerechtigkeit oder externe Kosten übersetzen. Was sie nicht weniger wichtig macht. Wirklich spannend finde ich aber die Verbindung zu Themen wie Zusammenarbeit, Organisationsentwicklung, innerer Arbeit, Führungskultur und menschenzentriertem Arbeiten. Denn auch die Organisation selbst – und die Menschen darin – bilden ein System.
Kurzum: Es geht nicht nur um das Was, sondern auch um das Wie.
Wie bitte? Regenerative Leadership
Ein Beispiel, das sich mir dabei aufdrängt: Mitarbeitende, die sich für den Impact stark machen – ob in einem Social Business oder einer NGO – und dabei ausbrennen. Alte Performance-Logik trifft Purpose. Wenn wir Menschen in Organisationen verheizen, um die Welt zu retten – was genau retten wir dann eigentlich?
Die Transformationsforscherin Maja Göpel verwendete in einem TEDx-Vortrag das Bild einer Autobahn, von der wir wissen, dass sie auf einen Abgrund zuführt – stellvertretend für ein bequemes “Weiter so” - und eines steinigen Pfades daneben, der mühsam ist, aber zu einem besseren Ort führen könnte. Vielleicht könnte man sich so den Aufbruch in eine regenerative Gesellschaft vorstellen.
Es braucht Motivation, eine gemeinsame Ausrichtung und Hoffnung: „Das ist unser Weg – und er fühlt sich richtig an, auch wenn er vorerst anstrengender wird.“ Es braucht ehrliche Verbindungen zwischen den Menschen in der Organisation. Vertrauen, Mut und Raum für Spielfreude, um neue Wege abseits des Gewohnten zu erproben. Es braucht Frustrationstoleranz und Resilienz für Momente, in denen Veränderung nicht gelingt – und wir uns insgeheim die Autobahn zurück wünschen. Es braucht Räume, in denen Gefühle Platz haben – Wut, Ohnmacht, Trauer. Ich selbst wurde in Konflikten rund um nachhaltige Entscheidungen im Unternehmen oft wütend – bis ich die darunterliegende Trauer um den Zustand der Welt und meiner eigenen gefühlten Machtlosigkeit zulassen konnte. Es braucht eine Kultur, die viele Perspektiven einlädt - insbesondere die marginalisierter Menschen oder zukünftiger Generationen. Eine Verbindung zu dem, was wir Ihnen hinterlassen, statt der Scheuklappen mit Blick auf die nächsten Quartalsziele. Und Methoden und Mechanismen, die Macht auf viele Schultern verteilen, ohne zu lähmen. So wurde beispielsweise in einer Organisation, in der ich arbeitete, ein Offsite nach Tansania vom Großteil der Mitarbeitenden aus Nachhaltigkeits-Gründen abgelehnt und der Nachhaltigkeits-Perspektive in vielen Bereichen generell ein starkes Stimmrecht gegeben. Regenerative Leadership erkennt die Rolle dieser Dimensionen an, um den Raum zu halten für diese unglaubliche Transformations-Aufgabe. Das Reallabor Zukunft nennt einige dieser Kompetenzen ganz passend “Nebelkompetenzen”, denn sie helfen uns, trotz Unsicherheit durch den Nebel zu navigieren. Viele dieser Aspekte finden sich auch in weiteren Prinzipien regenerativer Organisationen wieder – zum Beispiel im Stellar Approach von The Dive. Sie sind eine Einladung, mit ihnen zu experimentieren.
Guter Boden
Und? Buzzword – oder nicht? Zumindest ganz schön komplex, oder? Regenerativität macht das Thema Nachhaltigkeit nicht einfacher – aber vollständiger. Sie integriert Aspekte, die bislang oft am Rand standen – zumindest für mich. Das „Was“ wird ergänzt um das „Wie“: auf Ebene der Zusammenarbeit, der Organisationsstruktur, der inneren Haltung. Was brauchen wir, um uns auf echte Transformation einzulassen – und was an unserem bisherigen „Wie“ hält uns zurück?
Ja, das kann herausfordernd sein – emotional, strukturell, wirtschaftlich. Abschließend möchte ich noch einmal ein Bild aus der Landwirtschaft aufgreifen: Biodiversität ist komplex und so standortabhängig, dass man sie nicht einfach „herstellen“ kann. Aber man kann die Bedingungen dafür schaffen, dass sie entstehen kann. So stelle ich mir regenerative Organisationen vor.
Die Prinzipien regenerativer Organisationen garantieren kein klar absehbares Ergebnis – aber sie ermöglichen Vielfalt, Anpassungsfähigkeit und eine bewusstere Form von Wachstum. Sie bereiten gewissermaßen den Boden, damit das, was darauf wächst, mehr Lebendigkeit in die Welt bringen kann.
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Über den Autor
Maik Birnbach ist Berater für Nachhaltigkeit und Organisationsentwicklung. Er war langjähriges Mitglied im Nachhaltigkeitsteam und Strategie-Rat von einhorn. Mit einem
M.Sc. in Technischem Umweltschutz, sowie Ausbildungen zum Good Change Facilitator und Stellar Practitioner verbindet er Nachhaltigkeitsmethoden mit Ansätzen regenerativer Transformation und Organisationsentwicklung.
Im Projekt „ourShare“ entwickelt Maik eine Alternative zur klassischen CO₂-Kompensation – mit der Frage: Wie können Organisationen ehrlich Gutes bewirken, solange sie systemisch auf Kosten anderer wirtschaften?
Seit März 2025 ist Maik Trainer der GOOD CHANGE FACILITATOR AUSBILDUNG. Denn:
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