Bottom-Up oder Top-Down?

Wo beginnt Women Empowerment? 

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von Ariane Vera-Fluixá, March 13, 2017
women-empowerment-chancengleichheit

ursprünglich erschienen: 16.06.2016

Dr. Eva Voß, Manager Diversity and Inclusiveness bei EY (Ernst & Young) spricht über die Vision, „a better working world“ Realität werden zu lassen und gibt Antworten darauf, wie nicht nur kleinere Unternehmen, sondern jeder Einzelne einen Beitrag für Chancengleichheit leisten kann. 

Was ist die Vision von EY in Bezug auf Women Empowerment?

EY will über den tatsächlichen Nutzen von Diversity hinaus auch Vorbild sein, getreu unserem Anspruch "Building a better working world". Und eine vielfältige Unternehmenskultur, in der sich Frauen gleichermaßen einbringen und entwickeln können, ist ein Teil dieser besseren Welt. 

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Inwiefern ist EY ein Vorreiter in Bezug auf Women Empowerment und wie und was können andere Unternehmen von EY lernen? 

Wir leben D&I. Weil die Welt und das Leben selbst komplex und vielfältig sind. Das spiegelt sich in unseren Organisationsentwicklungsmaßnahmen einerseits und den individuellen Empowerment Programmen andererseits wieder. D&I ist eben nicht mit ein paar Sondermaßnahmen für Frauen abgetan. Nur wer dies wirklich verinnerlicht hat, wird auch eine erfolgreiche und damit wertschätzende wie wertschöpfende Unternehmenskultur schaffen. Für diesen holistischen Ansatz wurden wir unlängst mit dem Deutschen CSR Preis ausgezeichnet. Es zeigt sich auch mit Blick auf unser Leadership Team: wir haben allein drei Frauen in der GSA Geschäftsführung, davon ab 1. Juli mit Julie Teigland unsere erste CEO.

EY macht sich weltweit für Frauen stark und trägt in Entwicklungsländern dazu bei, dass Frauen Hürden - wie die Verweigerung von Landbesitz oder Krediten - überwinden und unternehmerisch tätig werden können. Wie ist die Situation in industriell hoch entwickelten Ländern – welchen Herausforderungen müssen Frauen sich stellen? Und wie bietet EY Unterstützung?

Das World Economic Forum hat errechnet, dass es noch bis zum Jahre 2095 dauert bis die tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter weltweit erreicht ist. Auch in Industrieländern gibt es nach wie vor Ungleichheiten bei Löhnen, Aufstiegschancen, gesellschaftlicher und politischer Teilhabe. Altersarmut hat ebenfalls ein weibliches Gesicht. Wir können uns daher kaum auf den mühsam errungenen Entwicklungen der letzten 30 Jahre ausruhen. 

Daher haben wir bei EY die Women³. The Power of Three-Initiative ins Leben gerufen, um mit Unternehmerinnen und Top-Führungskräften aus der Wirtschaft und Politik aktiv dazu beizutragen, dass Frauen die gleichen Chancen haben wie Männer – und zwar auf allen Karrierestufen.

Welchen Beitrag leisten Netzwerke zu Women Empowerment? Und welche Netzwerke müssen geschaffen werden, um Frauen, die nach einer Karriere streben, den Weg an die Spitze zu erleichtern?

Netzwerke stellen sicherlich eine wesentliche Säule für das Women Empowerment dar. Sie bieten Plattformen, um sich mit anderen auszutauschen und Aufmerksamkeit bei Entscheidungsträger/innen zu schaffen. Es ist allerdings utopisch davon auszugehen, dass es ein spezielles Netzwerk mit Garantie zum beruflichen Erfolg gibt. Viel wichtiger ist es, eine Reihe an Kontakten – und zwar ganz unterschiedlicher Natur – zu haben, die dann über Jahre das eigene Netzwerk bilden. Weil es ganz entscheidend – von beispielsweise der Branche, der aktuellen Lebenssituation, den beruflichen Erwartungen und Zielen usw. – abhängt, auf welchen Kontakt man just für den nächsten Karriereschritt zurückgreifen will. Ich kann nur ermutigen, sich frühzeitig gut in verschiedene Lebens- und Arbeitsbereiche hinein zu vernetzen, um dann bei Bedarf darauf zurückkommen zu können. Und das sollte am besten nicht erst dann passieren, wenn man kurz davor ist, einen Karrieresprung zu planen.

Das fünfte Entwicklungsziel der Vereinten Nationen bezieht sich auf die Gleichheit der Geschlechter. Erwähnt wird in den konkreten Tasks auch die Chancengleichheit auf Leadership auf allen Ebenen des politischen, ökonomischen und öffentlichen Geschehens. Leistet die Frauenquote in Deutschland dazu einen entscheidenden Beitrag? Was hat sich bei EY nach Einführung der Frauenquote vor einem Jahr geändert? 

Wie heißt es so schön? Only what get‘s measured, get‘s done… und in diesem Bewusstsein sind Zielvorgaben – sei es in der Produktion, beim Umsatz oder eben auch der Talent Förderung – eigentlich das Normalste, was in ökonomisch erfolgreichen Kontexten auf der Tagesordnung steht. Es geht darum unternehmerische Vorhaben in konkrete Zahlen zu fassen. Nichts anderes ist -- nüchtern betrachtet – auch die Frauenquote. Nach jahrzehntelanger Freiwilligkeit, die nur marginale Fortschritte in Deutschland bewirkt hat, wird nun eben ein anderes, strengeres Instrumentarium angelegt. 

 

 

Da wir uns bei EY seit Jahren mit dem Thema Vielfalt und Chancengleichheit befassen, waren wir auf diesen Schritt mehr als gut vorbereitet. Wir haben entsprechende Tools entwickelt, um tatsächlich den Frauenanteil auf allen Karrierestufen messen zu können. Das „HR Cockpit“ wurde dafür sogar unlängst mit dem HR Excellence Award ausgezeichnet. Des Weiteren setzen wir Unsconsious Bias Schulungen im Vorfeld von Beurteilungsrunden sowie auch während dessen ein spezielles Tracking-Tool (Gender-Tool) ein, um die Verteilung der Geschlechter bei Beförderungen und Ratings punktgenau im Blick zu haben. 

Für uns hat sich durch die Einführung der Frauenquote daher nichts Grundlegendes verändert. Sie setzt den politischen Rahmen für etwas, das bei uns seit Jahren selbstverständlich ist: faires Talent Management von Anfang an. 

Diesen Monat ist Diversitätstag. Wie trägt EY dazu bei? Wie spiegeln die Unternehmensstrukturen von EY die Charta der Vielfalt wider? 

Unser Engagement für die Charta als Wirtschaftsinitiative reflektiert den Umstand, dass die Wirtschaft schon lange keine Ländergrenzen mehr kennt. Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturen und Nationen begegnen sich, arbeiten zusammen und entwickeln gemeinsam Strategien, Lösungen und Produkte. Die spannende und beinahe grenzenlose Vielfalt und Komplexität der Welt spiegelt sich im internationalen unternehmerischen Denken und Handeln unserer Mandanten wieder. Das stellt auch an uns besondere Anforderungen. Unsere Kunden erwarten, dass wir diese Komplexität verstehen und mit ihr umgehen können − und dies nicht allein in fachlicher, sondern auch in gesellschaftlicher und kultureller Sicht. Sie verlangen, dass wir genauso international denken und handeln wie sie und diese Vielfalt leben. Mit unserem Diversity and Inclusiveness-Ansatz erfüllen wir diese Erwartung. Damit besitzt D&I für uns ebenso eine fachliche Komponente, die sich in unserem interdisziplinären Service-Angebot und unseren fachübergreifenden Teams wiederspiegelt. Wir können die Aufgaben unserer Mandanten immer aus verschiedenen Blickwinken betrachten und Lösungen entwickeln, die einer eindimensionalen Sichtweise entgegen würden.

Im Jahre 2008 hat EY die Charta der Vielfalt unterzeichnet, seit 2012 sind wir Mitglied im Verein und mit Ana-Cristina Grohnert als unsere Personalverantwortliche auch im Vorstand als Vorsitzende vertreten. Seitdem sind wir bei den zahlreichen Aktionen und Kampagnen der Charta dabei – dieses Jahr erneut mit einer internen D&I Roadshow, einem Deep Dive Workshop mit Prout at Work sowie einer Studie. Gemeinsam mit der Charta werden wir dazu zum ersten Mal seit deren 10 jährigen Bestehen eine Befragung der über 2000 Unterzeichner/innen durchführen, um die Erfolge und Herausforderungen messen und relevante Themen für die Zukunft identifizieren zu können.

Schließlich werden wir vom 6.-8.9. in unserem Berliner Office Gastgeber der Vielfaltswerkstatt der Charta sein, zu der wiederum unsere Kunden und interessierte Gäste herzlich eingeladen sind.

Wie lässt sich der Erfolg von Women Empowerment bemessen? 

Ganz klassisch sicherlich durch Monitoring von Frauen bei Bewerbungen, auf den einzelnen Karrierestufen oder eben auch die Fluktuation. Wichtig ist aber auch hier die Kulturkomponente, d.h. Rückmeldungen aus Mitarbeiterbefragungen oder auch Fokusgruppeninterviews. Es geht darum, eine Arbeitsumgebung zu schaffen, die Vielfalt in allen Facetten wertschätzt und damit allen Beschäftigen Raum gibt, das eigene Potential zu entfalten. Die bisherige Exklusion von Frauen in den oberen Führungsebenen ist ja nur ein Symptom für homogene, exklusive und exkludierende Unternehmenskulturen. Erst wenn es eine tatsächliche Durchlässigkeit gibt, Beförderungen und Beurteilungen fair und transparent sind, Unconscious Biases thematisiert und minimiert werden, dann ist das auch ein Erfolg für Women Empowerment – aber eben auch für die Kultur insgesamt.

Große Veränderung erfolgt meist in kleinen, stetigen Schritten. Welchen Beitrag kann jeder Einzelne täglich zu Women Empowerment leisten?

Aus meiner Sicht gibt es eine unabdingbare Schlüsselkompetenz: nämlich die Objektivierung des eigenen – kulturell gefärbten – Referenzrahmens. Teams und Führungskräfte müssen sich situativ auf eine Person einstellen können, ohne sich von sozialen, kulturellen oder eben auch Geschlechterstereotypen vereinnahmen zu lassen. Das eigene Bewertungsmuster von Leistung, Arbeitsstilen oder zwischenmenschlicher Kommunikation kontinuierlich zu hinterfragen, setzt eine gewisse Selbsterkenntnis voraus. Was ist mein Bezugsrahmen und durch welche Biases, also Wahrnehmungsmuster, wird dieser Rahmen möglicherweise beeinflusst? Wie und nach welchen Maßstäben bewerte und fördere ich eigentlich meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? Erkenne ich nur bei den Mitarbeitern Leistung wertschätzend an, die mir selbst am ähnlichsten sind? Schätze ich Unterschiede, die sich aus verschiedenen Arbeits- und Lebensstilen in meinem Team ergeben oder glaube ich nur an einen „richtigen“, nämlich „meinen“, Denk- und Handlungsstil? Ich denke, dass das Miteinander in und die Führung von heterogenen Teams leichter gelingt, wenn sich jeder selbst stärker in den Blick nimmt und die Bilder eines vermeintlich idealen Mitarbeiters (Vollzeit, 100% Erreichbarkeit usw.) überprüfen würde. Mehr Vielfalt gewinnbringend zu führen, bedeutet nämlich erst einmal die eigenen Annahmen und Urteile kritisch zu hinterfragen – das kommt am Ende Frauen und Männern zugute.

Vielfalt zu verankern ist eine Verantwortung. Letzten Endes besteht der Weg zur große Veränderung aus den kleinen Schritten eines jeden Einzelnen. Dabei geben große Unternehmen die richtigen Impulse und gehen mit gutem Beispiel voran. Vorbilder, von denen man lernen kann. 

Über die Interviewte

Dr. Eva Voß verantwortet den Bereich New Ways of Working mit den Themen Diversity & Inclusiveness, Health, Flexibility sowie Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben in Deutschland, Schweiz und Österreich bei EY (Ernst & Young), einem internationalen Marktführer in der Wirtschaftsprüfung, Steuer-, Transaktions-, sowie Risiko- und Managementberatung. Sie ist Autorin und Herausgeberin zahlreicher Fachartikel und Bücher, u.a. mit Schwerpunkt auf Unconscious Bias im Recruiting und Gleichstellungsaspekten in Governance-Strukturen. Dr. Eva Voß studierte an den Universitäten Freiburg und Brest Politikwissenschaft, Geschichte und Gender Studies und wurde an der Universität Freiburg im Fach Politikwissenschaft promoviert. Sie wirkte dort anschließend mehrere Jahre als Leiterin der Stabsstelle Gender and Diversity und wechselte danach zur Bertelsmann SE, wo sie als Director Diversity Management arbeitete.