Ehrenamt als Vollzeitjob

Iman von Champions ohne Grenzen wurde vom Geflüchteten zum Geflüchtetenhelfer.

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von Julia Wegner, January 2, 2017
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ursprünglich erschienen: 22.09.2015

Den Einsatz und das Engagement vieler Menschen in Deutschland angesichts der humanitären Notsituation der Geflüchteten finden wir super! Wir wollen Euch dabei unterstützen – und zwar alle! Deswegen werfen wir das Licht nun auch mal auf die, die selbst geflüchtet sind und sich jetzt schon aktiv für die Gesellschaft einsetzen. 

Letzte Woche hat uns Iman Kashan, von Champions ohne Grenzen besucht, der vor 4 Jahren aus dem Iran nach Deutschland gekommen ist. Seit über 3 Jahren ist er bei Champions ohne Grenzen ehrenamtlich engagiert als Trainer für ein Fußballteam, in dem geflüchtete Kinder spielen. Was ihn dazu gebracht hat sich zu engagieren und wie Fußball zur Integration beitragen kann erzählte er uns in einem Interview.

Du engagierst Dich schon seit 2012 bei Champions ohne Grenzen. Wie kam es dazu?

Fußball ist meine Sprache- vor allem weil ich zuerst nicht richtig Deutsch konnte. Ich hatte eine Chefin in unserem Wohnheim, und sie hat mich immer gefragt: ’Warum gehst du nicht mal raus? Was willst du machen?’ Ich habe ihr gesagt, dass ich gern Fußball spiele, also hat sie mich zu Champions ohne Grenzen geschickt. Beim ersten Training habe ich mir dann sofort erstmal den Finger gebrochen, musste eine OP haben, hatte einen Gips am Finger, aber habe trotzdem versucht weiter zu spielen… im Tor.

Und wie sieht deine Arbeit bei Champions ohne Grenzen jetzt, 3 Jahre später, aus?

Beim ersten Training konnte ich noch nicht so gut Deutsch sprechen – aber ich habe schon verstanden, dass es darum geht ein Kindertraining aufzubauen. Und ich habe den Mangel an Angeboten für Kinder jeden Tag gesehen bei uns im Wohnheim. Da ich habe mir gedacht: Jetzt ist eine gute Zeit etwas für diese Kinder zu machen.

Mit meiner Co-Trainerin Mia haben wir dann immer versucht das Kindertraining auszubauen – besser organisiert, bessere Qualität. Wir versuchen alles zusammen zu entwickeln, und bei jedem Training ein neues Ziel zu haben. Als wir angefangen haben beim ersten Training gab es vielleicht drei Kinder – jetzt sind bei jedem Training circa 20. Wir sind eine feste Gruppe, insgesamt sind es 30 Kinder in einer Alterspanne von 8-13. Außerdem bin ich mittlerweile E-Jugend, C-Jugend und Torwart Trainer bei FC Internationale. Und wenn ich Zeit habe, noch ein bisschen Akku, dann spiele ich auch selbst.

Oft haben die Kinder auch persönliche Fragen. "Ich sage den Kids immer: Während des Trainings bin ich euer Trainer. Danach bin ich einer von Euch – auch ein Flüchtling, da können wir über alles reden." Da können wir auch Erfahrungen austauschen. In meinem Zimmer im Wohnheim ist immer was los, und sie schreiben mir auch ständig bei Whatsapp.

Es klingt schon fast nach einem Vollzeitjob. Was motiviert Dich so viel Arbeit in Champions ohne Grenzen zu stecken?

Es ist schön – besser als den ganzen Tag gar nichts zu machen, vor allem als ich nicht arbeiten durfte. Meine Mutter hat mir beigebracht immer nach den Anderen zu schauen. Wenn jemand in deiner Nähe unglücklich ist, ist es wichtig auf ihn zu achten. Es geht nicht darum dass du zufrieden bist, sondern dass alle zusammen lachen und zufrieden sein können. Das verstehen nicht immer alle – diese Erfahrung muss man selbst machen. Andere denken dann immer: Die Person ist verrückt, oder hat kein eigenes persönliches Leben. Aber ich bin zufrieden.

Was glaubst du ist das wichtigste was du den Kids mitgegeben hast?

Beim Fußball stehen Respekt und Disziplin ganz weit vorne. Und darüber hinaus geht es um Zusammenhalt, dass man sich gegenseitig respektiert, die Stärken und Schwächen akzeptiert und als Team zusammenhält. Bei uns ist das Team wirklich ohne Grenzen: arabische, serbische, afghanische, iranische…. auch deutsche Spieler waren schon bei uns. Aber mit unseren Prinzipien Disziplin und Respekt können wir immer zusammen Freude haben und etwas lernen.

Mittlerweile könnten alle unsere Spieler mit einem guten Verein in Berlin Fußball spielen. Beim ersten Training hingegen konnten die Kinder noch nicht mal etwas auf Deutsch sagen, hatten noch nie trainiert, waren sehr schüchtern oder hatten oft auch das Gefühl, dass die Deutschen sie nicht mögen würden. Da haben sie jetzt schon viel gelernt- gegenseitiger Respekt ist da das wichtigste.

Wir haben hier eine kleine Demokratie. Die Kinder wissen, sie haben eine große Gruppe hinter sich. Allein der Gedanke, dass man nicht alleine ist, ist sehr wichtig für einen Geflüchteten. Genau so wie für jeden anderen Menschen auch. Genau das bedeutet Champions für mich.

Ich versuche ihnen auch immer zu sagen, dass es nicht nur wichtig ist allein im Fußball der Beste zu sein. Auch in der Schule müssen sie sich anstrengen. Es ist egal in welchem Bereich du ein Profi bist – es ist einfach nur wichtig sein Bestes zu geben, und das immer mit Respekt und Disziplin!

Außerdem, ich kenne diese Kinder, die meisten wohnen bei mir im Heim. Ich weiß, sie haben eine richtig schwierige Zeit durchgemacht. Da wird man sprachlos. Also muss man auch mal etwas Geduld haben. Ihnen muss man mehr Zeit geben als anderen Kindern.

Was bedeutet Fußball für Dich?

Meine Mutter hat immer schon gesagt: Du bist verrückt nach Fußball. Ich spiele schon lange. Mein erster Vertrag war mit 11 Jahren oder so. Zu der Zeit gab es im Iran keine Verbände wie hier in Berlin. Als Fußballer musste man richtig mit einem Manager zusammen arbeiten und einen Vertrag abschließen. Mein Vater war aber immer gegen Fußball – aber ich habe trotzdem mein ganzes Leben immer gespielt. Seit über 18 Jahren, jeden Tag Training –  zwei Mal. Mein Leben war: Schule-Fußball-Schule-Fußball.

Damals hatte ich eine Halskette mit einem Kreuz als Anhänger, die ich auch beim Fußball getragen habe. Und unser Manager war ein recht radikaler Muslim. Er hat mich immer gefragt, warum ich dieses Kreuz trage – weil meine Familie ja alle Muslime waren. In den letzten drei Jahren durfte ich dann nicht mehr Profi-Fußball spielen – aber ich habe trotzdem weitergespielt. Freundschaftsspiele mit meinen Kumpels. Jetzt ist es anders – der Kapitän unserer Nationalmannschaft ist Christ. Aber früher ging das gar nicht. Auch diese Erfahrung hat mich aber weitergebracht – und auch deswegen kann ich heute hier in Deutschland weitermachen.

Mit Fußball geht es mir immer gut – da haben negative Gedanken keinen Platz. Beim Fußball sind dir keine Grenzen gesetzt, im echten Leben gibt es die immer. Hier in Deutschland war Fußball, nach meinen Freunden, eine große Hilfe für mich – wie ein Psychologe!

Ich habe zwei Leben kennengelernt. Im Iran war ich Fußballprofi – mit Geld, Auto, einer Freundin. Hier musste ich wieder von vorne anfangen. Aber ich habe gelernt – das geht – man muss es nur immer wieder versuchen. Dann kann man alles schaffen. Das war nicht einfach, ich habe meine Familie verloren. Aber mit Champions ohne Grenzen habe ich jetzt eine neue Familie kennengelernt. Deswegen war ich auch als ein Kind von unserer Gruppe, der von Anfang an dabei war, nach Hamburg gezogen ist, drei Tage lang richtig traurig.

Was muss in der Integrationsarbeit Deiner Meinung nach noch passieren?

Bei mir im Heim fragen alle immer noch nach anderen Sportarten. Ganz viele wollen Basketball spielen, oder Volleyball, oder Gymnastik. Insgesamt gibt es wirklich viele Anfragen.

Das Problem ist, wenn Deutsche nach einem Angebot suchen – sei es Musik oder Sport – dann gehen sie ins Internet und finden etwas, können einfach hingehen und es ausprobieren. Aber so eine Kultur gibt es in vielen Ländern nicht. Und deswegen denken Geflüchtete oft, dass sie nicht willkommen wären oder draußen bleiben müssen, sie sind schüchtern. Und die Teilnahme kostet natürlich auch Geld. Die Lösung ist wahrscheinlich die Angebote in direkter Kooperation mit den Wohnheimen anzubieten, und die Menschen einzuladen auch ihre eigene Kultur zu zeigen. Die Menschen wollen gerne auch was von ihrer Kultur mitgeben. Aber dieses Thema braucht viel Energie, viele Menschen, viel Zeit, viele Nerven und auch Geld.

Wie geht es jetzt bei Dir weiter? 

Heute hatte ich meinen ersten Tag in einem Job. Vor einigen Monaten habe ich nach über 3 Jahren Warten plötzlich Asyl erhalten und darf jetzt auch endlich arbeiten.  Trotzdem mache ich aber mit dem Kindertraining weiter. Ich stehe morgens um 6h auf, fange um 7h an zu arbeiten, bin dann um 15h fertig und dann geht es direkt aufs Fußballfeld.

Im Deutschunterricht habe ich mal ein Sprichwort gelernt: Kommt Zeit, kommt Rat. Wir haben im Persischen auch so einen Spruch. So läuft das bei mir halt. Manchmal war ich verzweifelt und dachte – Rat kommt nie.

In den letzten drei Jahren war mein Leben ein kleiner Kreis. Ich konnte nicht nach vorne, hinten, rechts oder links gehen. Jetzt ist es nach vorne hin frei – warum sollte ich diese Chance nicht nutzen?