Der integrative Entscheidungsprozess: Getting the Job Done

Wie in einer Teal Organisation Entscheidungen getroffen werden, so ganz ohne Hierarchien und Entscheidungsbefugnisse.

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by Andreas Kraus, Kathrin Kastel und Alexandra Wudel, January 10, 2023
Entscheidungsprozess

Wer die vorherigen Kolumnen unser Artikelserie zum Thema Teal gelesen hat, hat sich möglicherweise gewundert, wie ein Unternehmen ohne Hierarchien existieren und überleben kann. Fragt ihr euch, wie in einer Teal Organisation Entscheidungen getroffen werden, so ganz ohne Hierarchien und Entscheidungsbefugnisse?

Wesentliche Unterschiede zwischen hierarchischen Unternehmen und Teal-Unternehmen sind:

  • zu garantieren, dass Entscheidungen aufgrund der vorhandenen Kompetenzen getroffen werden, anstatt durch Machtausübung oder Machtpolitik
  • Entscheidungen, die aufgrund von Machtausübung oder ungleich verteilter Entscheidungsmacht getroffen wurden, anstatt aufgrund von Kompetenz zu verhindern und
  • überzeugt davon zu sein, dass die kollektive Intelligenz zu besseren Entscheidungen führt als Einzelmeinungen.

Aus diesem Grund gibt es in vielen Teal-Unternehmen einen sogenannten Beratungsprozess nach klarer Struktur zur Entscheidungsfindung, im Falle von enableYou der sogenannte „Beratungsprozess mit Einwandintegration“

Die wesentliche Essenz dieses Beratungsprozesses ist:

„Jede Person kann jede Entscheidung treffen, nachdem sie (1) jede:n, die:der sinnvollerweise betroffen sein wird, und (2) Menschen mit Fachwissen in der Sache um Rat gefragt hat“.

Dieser Prozess gibt somit auf der einen Seite allen Menschen im Unternehmen die Möglichkeit sich einzubringen, selbstwirksam zu werden und mitzugestalten. Auf der anderen Seite bringt dieser Beratungsprozess auch eine hohe Verantwortung mit sich: Bin ich die richtige Person, um diese Entscheidung zu treffen? Berücksichtige ich die Ratschläge meiner Kolleg:innen angemessen?

Damit diese Art der Entscheidungsfindung ohne Hierarchien gelingt, gibt es drei Schlüsselfaktoren: klare Prozesse, Konsent und Vertrauen.

Es braucht klare Prozesse

Klare Prozesse sind das A und O von Teal. Schnelle und pragmatische Entscheidungen sind auch unter Einbezug der kollektiven Intelligenz für ein Unternehmen essenziell. Der Entscheidungsprozess von Teal bietet aufgrund seiner klaren Struktur und entsprechenden Regeln eine Möglichkeit, geordnet schnelle Entscheidungen zu treffen und gleichzeitig ausreichend Raum für die Individualität der jeweiligen Debatte freizuräumen.

Konsent statt Konsens!

Konsent bedeutet, anders als die zeitintensive Konsensfindung, nicht, dass alle Widersprüche aufgelöst sein müssen, jede:r Einzelne der Entscheidung zustimmen muss und ein verwässerter Kompromiss entsteht. Vielmehr wird unter gewissenhafter Berücksichtigung aller Ratschläge eine Entscheidung nur blockiert und zu intensiveren Diskussion übergeleitet, wenn sie „den Fortbestand des Unternehmens gefährdet oder die aktuelle Situation verschlimmert“.

Vertrauen in Menschen und den evolutionären Sinn

In Teal-Organisation sind der evolutionäre Sinn sowie die inneren Maßstäbe jeder Person zentraler Bestandteil der Entscheidungsfindung: Erscheint mir die Entscheidung im Einklang mit unserem Sinn? Bin ich mir selbst treu? Durch die Loslösung von Ego und externen Maßstäben werden mutigere Entscheidungen aus einem Gefühl von tieferer, innerer Überzeugung und Authentizität getroffen. Und zentral ist hierbei: Jede:r kann Veränderungen anstoßen und Potentiale aufdecken. Gegenseitiges Vertrauen in der gemeinsamen Entscheidungsfindung fördert die Gemeinschaft, den Spaß, das Lernen und damit letztendlich bessere Entscheidungen.

Also wie genau laufen nun Entscheidungen in einer Teal Organisation ab?

Ein Beispiel hierfür ist der von enableYou angewandte Beratungsprozess mit Einwand-Integration. Entscheidungen werden nach dem immer gleichen Vorgehen getroffen:

  1. Neuer Vorschlag: Nachdem eine Person ein Spannungsfeld identifiziert und eine Lösung erarbeitet hat, stellt sie diesen Vorschlag Betroffenen und/oder Expert:innen vor.
  2. Verständnisfragen: Danach darf jede Person Fragen stellen. Reaktionen oder Anmerkungen sind noch nicht erlaubt!
  3. Reaktionsrunde: Jede Person kann nun einmal auf den Vorschlag reagieren, Ratschläge geben, Bedenken, Wünsche, Zustimmung oder Ablehnung äußern. Diskussionen dazu sind noch nicht erlaubt.
  4. Verbessern: Der:die Entscheidungsträger:in berücksichtigt die Ratschläge und kann seinen:ihren Vorschlag nun ggfs. näher erläutern oder anpassen. Gegebenenfalls lassen die Reaktionen und Einwände die vorschlagende Person auch realisieren, dass der Vorschlag umfassendere Anpassungen bedarf. (Nur) Dann wird der Vorschlag zurückgezogen und zu einem späteren Zeitpunkt erneut eingebracht werden.
  5. Einwandrunde: Nachdem der:die Entscheidungsträger:in nun ihren initialen Vorschlag unverändert umsetzen möchte oder ihn entsprechend angepasst wird, stellt er:sie nur noch eine Frage: „Gibt es einen Grund, warum die Annahme des Vorschlags Schaden anrichten oder die aktuelle Situation verschlimmern kann?“ Ist dies nicht der Fall, ist der Vorschlag angenommen, wird umgesetzt und zeitgleich ist jede:r über die Änderung informiert. Die Hürde für einen begründeten Einwand ist hier nach dem Prinzip der Konsent-Findung bewusst sehr hoch gesetzt.
  6. Integration: Im Falle eines Einwandes wird eine offene Diskussion eingeleitet und eine passende Lösung gesucht. Bei mehreren Einwänden geschieht dies nacheinander. Gelingt es nicht und der Vorschlag wird weiterhin blockiert, wird gesondert nach einer Lösung gesucht.

Klingt kompliziert? Ist es nicht!

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Zeiteffiziente Entscheidungsfindung

Die Entscheidungsfindung in diesem Prozess mag auf den ersten Blick zeitintensiv und kompliziert erscheinen. Aus eigener Erfahrung können wir jedoch nur das Gegenteil bestätigen: Durch die klare Struktur mit Verständnisfragen und Reaktionsrunde, entstehen kaum ausschweifende, nie endende Diskussionen. In vielen Organisationen werden Wochen damit zugebracht, darüber nachzudenken, wie man Entscheidungen kommuniziert, damit sie niemand falsch versteht oder man überlegt, was die Kolleg:innen wohl zu der Entscheidung denken werden, wenn man sie kommuniziert. Im integrativen Beratungsprozess äußert man einfach die Idee und jeder Person ist bewusst, dass diese Idee gegebenen falls noch nicht ganz ausgereift ist und jede:r Input geben kann. Man bringt damit also Ideen auch viel schneller zur Entscheidung und holt sich Feedback dazu ab. Teal-Unternehmen reagieren dadurch viel flexibler, schneller und anpassungsfähiger auf neue Gegebenheiten. Zudem können alle Mitarbeiter:innen Veränderungen anstoßen und sind von Beginn an eingebunden, wenn sie betroffen sind, was den Widerstand verringert und das Mitspracherecht und Commitment erhöht. Die Selbstwirksamkeit steigt.

Doch wie funktioniert das in der Praxis, wenn alle betroffen sind und die Gruppe größer ist? Dann kann man den Vorschlag z.B. im internen Kollaborations-Tool (wie Teams, Slack etc.) posten und alle können darauf reagieren, kommentieren, Fragen stellen etc. Dies gibt der:dem Entscheidungsträger:in die benötigte Beratung. Gibt es z.B. sehr kontroverse oder umfangreiche Gruppen, kann man daraufhin eine Arbeitsgruppe zur Ausarbeitung eines Vorschlages bilden.

Unser Fazit: Im Beratungsprozess treffen wir Entscheidungen auf Basis der kollektiven Intelligenz besser, geordneter, mutiger und schneller!

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In dieser Kolumne, die gemeinsam mit enableYou entstanden ist, schreiben wir über die zahlreichen Facetten des TEAL-Konzepts, welches von Frederic Laloux geprägt und in seinem Buch „Reinventing Organisations“ ausführlich vorgestellt wird. Dabei erzählen wir in unserer Kolumne von unseren Erfahrungen und best-practices, zeigen auf, warum es neue Paradigmen im Management braucht und erörtern, wieso TEAL unserer Meinung nach eine Lösung für momentane Herausforderungen sein kann. In den kommenden sechs Beiträgen teilen wir unsere praktischen Erfahrungen über das selbstorganisierte Arbeiten und geben einen tieferen Einblick in den evolutionären Sinn von TEAL-Organisationen und die Verbindung zum Feminismus. Durch die neuen Perspektiven wollen wir dazu einladen und inspirieren, traditionelle Organisationsstrukturen zu überdenken und Mut geben, neue Konzepte, wie TEAL, auszuprobieren.

enableYou

Unsere Kolumnisten sind Andreas Kraus, Kathrin Kastel und Alexandra Wudel. Andreas hat enableYou 2020 gegründet und hat es sich zur Aufgabe gemacht, menschenzentrierte Management-Paradigmen, wie Teal, in die (Arbeits)Welt zu tragen. Alexandra arbeitet als Agile Coach in der Politik. Außerdem arbeitet sie seit vielen Jahren als kritische Stimme im Bereich Wirtschaft und Technologie. Kathrin arbeitet als IT-Business Analyst mit einer Leidenschaft für Menschen und New Work in KMUs.