Lieber Social Impact Sektor: Ich bin Müde!

Wie ist es als alleinerziehende schwarze Mutter im Social Impact Sektor? Aileen Puhlmann teilt mit uns ihre Reise.

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von Aileen Puhlmann, August 26, 2020

Header: Howling Red via Unsplash.

to belonging* ist unser nächster Schritt, um das Thema Anti-Diskriminierung neu zu denken und zu handeln. Weg vom Diskurs der Sichtbarkeit von Diversity und Inklusion hin zu einer authentischen und gelebten Zugehörigkeit aller marginalisierten Gruppen. Dies soll zu einem radikalen systemischen Wandel führen im Impact Sektor, von “Macht über” und “Macht für” hin zu “Macht mit”.  Diese Serie wird ermöglicht durch die Open Society Foundations.

«There is no such thing as a single issue struggle because we do not lead single issue lives.»
Audre Lorde

Ich bin eine Frau, ich bin Mutter einer wunderbaren Tochter, alleinerziehend und ich bin Schwarz. Ich bin aus Überzeugung im Social Impact Sektor tätig und arbeite seit 12 Jahren jeden Tag um die Welt irgendwie ein Stückchen besser zu machen. Warum ich explizit benenne das ich Schwarz bin? Weil ich glaube, dass es nicht selbstverständlich ist, gar ein Zufall, dass ich hier gelandet bin – denn mir fällt auf, dass dieser Sektor Menschen wie mich nicht mitdenkt. Ich bin eine Ausnahme, eine Anomalität. Als soziale Aufsteigerin und Erste in meiner Familie, die studiert hat, war ich keineswegs dafür bestimmt, als Akademikerin im Internationalen Entwicklungskontext zu arbeiten.  Es bedurfte einer Mutter, die mich in die richtigen Bahnen lenkte, Lehrer*innen, die mein Potential erkannten und Pfadfinder*innen, die mir Einblick in andere Milieus erlaubten. Außerdem sorgten sie dafür, dass ich meine Jugend mit Ehrenamt und nicht auf den Straßen meines „sozialen Brennpunkt-Viertels“ verbrachte. 

Meine Reise 

Ich kam vor vier Jahren zurück nach Deutschland, nachdem ich 13 Jahre im Ausland gelebt hatte. Nach meinem Studium und ersten Arbeitserfahrungen in London bin ich für meinen ersten fachlich relevanten Job nach Südafrika gegangen. Ich durfte erst als Stipendiatin berufliche Erfahrungen sammeln und hatte dann Verträge als Beraterin in der lokalen Wirtschaftsförderung mit einer großen Deutschen staatlichen Institution. Sieben Jahre später und mit Kind im Gepäck kam ich nach Hause in meine Heimatstadt Hamburg. Mit einem unbefristeten Vertrag bei einem Social Business in der Tasche, Wohnung, Kita-Platz gesichert und Oma startklar, um mir unter die Arme zu greifen, konnte es losgehen. So weit so gut. 

Ich bin Mutter 

Schon ab dem ersten Tag in diesem neuen Leben war klar, dass ich mich geirrt hatte. Ich bin nicht einfach nur nach Hause gekommen. Ich kam als Mutter nach Hause und unterlag jetzt einem „Code of Conduct“, bestimmten Verhaltensregeln, die ich noch nicht entschlüsseln konnte. Ich bin in Südafrika relativ entspannt in meine Rolle als Mutter hineingewachsen. Eine Gesellschaft die Kinder als das Normalste der Welt betrachtet, in der Muttersein keine Sonderrolle einnimmt und es völlig okay ist, für die Weihnachtsfeier des Kindes kurz das Büro zu verlassen. Ich war sogar eine überdurchschnittlich „gute Mutter“, weil ich einen Kindersitz im Auto hatte…. Jokes beiseite, ich war in einem unglaublich mütter- und kinderfreundlichen Land. Doch diese neuen Verhaltensregeln hatten es in sich: Welches pädagogische Konzept ich mir für die Kita ausgewählt hätte, war es die zuckerfreie Ernährung? Ob ich mir ein Lastenfahrrad anschaffen werde?  Wie lange ich mit meinem Kind zuhause war? Und ob ich plastikfrei leben würde? Fragen über Fragen die auf mich niederprasseln sollten und die mich gänzlich verwirrten. 

Relativ schnell wurde mir klar, dass frau sich in einem sensiblen Minenfeld befindet. Jede Antwort würde das Bild, das sich über mich gemacht wird, sofort beeinflussen. So zumindest hat es sich für mich angefühlt. Es dauerte etwas, aber mit der Zeit wurde mir klar, dass jede dieser Begegnungen ein Versuch anderer Mütter war (ja, es waren meistens Mütter), die eigenen Unsicherheiten zu projizieren. Mein Familienmodel anzuzweifeln bedeutete im Gegenzug das eigene zu bestätigen und die Unsicherheit einfach an mich abzugeben. Ich verstehe jetzt im Rückblick wesentlich besser, warum es sich Frauen oft so schwer machen. Wir sollen arbeiten, als hätten wir keine Kinder und Mütter sein, als würden wir nicht arbeiten. In dem Spagat zwischen Familie und Beruf scheint es einfacher, sich gegeneinander auszuspielen, als das Patriachat zu dekonstruieren. Doch in diesen ersten Monaten hat mich das Hinterfragen meiner Familie zutiefst verunsichert. 

Ich bin Alleinerziehend 

Ich erziehe meine Tochter alleine. Ja, so richtig alleine, ohne Wechselmodel. Ich bemitleide mich nicht, denn das bringt mir nicht viel. Es ist wie es ist und wir machen das beste draus. Ich arbeite Vollzeit. Stopp! Hier ist der Moment an dem mich mein Gegenüber misstrauisch ansieht und mich fragt, wie das denn ginge. Wie lange meine Tochter in der Kita ist, warum man Kinder bekäme, wenn man keine Zeit für sie hat. Die Liste der übergriffigen Fragen ist lang. 

Ich arbeite Vollzeit und ich habe einen Kitaplatz der mir die Betreuungszeit gibt die ich benötige (über meine Rassismuserfahrung in der Kita habe ich bereits einen Artikel geschrieben). Hinzu kommt ein tolles Netzwerk aus Familie und Freund*innen und die feste Überzeugung „it takes a village to raise a child“.  Alleinerziehend sein in Deutschland bedeutet nicht gesehen zu werden. Das Familienmodel existiert quasi nicht offiziell und es ist noch gar nicht so lange her, da war der Staat Vormund für ein Kind, wenn der Vater absent war. Steuerlich erkennt der Staat noch immer nicht an, dass ich einen Haushalt alleine finanziere. Ja, absurd, finde ich auch. Ganz abgesehen vom gesellschaftlichen Stigma, das mich quasi als Versagerin abstempelt – denn irgendwie sind Frauen, die alleine mit Kind leben, dafür verantwortlich, dass sie ihre Männer nicht halten können. Unsere Kinder sind dreimal mehr von Armut bedroht und zwei Drittel sind in irgendeiner Weise auf staatliche Hilfe angewiesen. Ich kämpfe mich irgendwie durch und mir wird gesagt, dass ich es mit einer Leichtigkeit tue. Doch ich bin oft am Rande eines Nervenzusammenbruchs, denn mein Konstrukt basiert auf sehr sensiblen Pfeilern: Gesundheit, Betreuung und Netzwerk. 

Ich bin Schwarz

Ja, ich definiere mich über das politische Konzept des Schwarzseins. Ich solidarisiere mich mit allen, die auf Grund ihrer Afrikanischen Abstammung – egal wohin die koloniale Expansion Europas meine Schwestern und Brüder verdammt hat – mit Diskriminierung und Marginalisierung zu kämpfen haben. In Deutschland ist es gefühlt erst seit George Floyds gewaltsamen Tod möglich, differenziert über Rassismuserfahrungen zu sprechen und dabei auf offene Ohren zu treffen. Aber diese Erfahrungen mache ich bereits mein Leben lang und als Mutter eines Schwarzen Kindes sowieso. 

In dem Feld in dem ich arbeite, sehe ich mich selten widergespiegelt, ich habe keine Vorbilder oder Kolleg*innen die so aussehen wie ich. Im Gegenteil, die an die ich am ehesten herankomme, sind meistens die Zielgruppen, die ich mit meiner Arbeit empowern möchte. Für lange Zeit dachte ich, dieses „einzigartig sein“ wäre von Vorteil, würde mir Chancen ermöglichen, die andere Menschen nicht haben. Dieses Gefühl ist jedoch ein Resultat unserer kollektiven Vereinzelung: immer die Einzige zu sein, immer herauszustechen und bestimmte Zuschreibungen allein auszuhalten, all das hat seine Spuren hinterlassen. Manche sprechen mir eine Kämpfer*innennatur zu, aber wie wäre ich wohl geworden, wenn ich mich nicht hätte behaupten müssen? Ich habe früh Handlungsstrategien entwickelt, um mit meinen Minderheitserfahrungen umzugehen, mir blieb ja nichts anderes übrig. Es hat mir sicherlich auch einen ganzen Schwung an Resilienz gebracht. Und ich bin mir meines Privilegs sehr bewusst und weiß, dass meine Erfahrungen auf Grund meines Deutschen Elternteils noch als milde eingestuft werden können. Was wäre, wenn ich keine Muttersprachlerin wäre, wenn ich keinen Deutschen Pass hätte, oder wenn ich dunkler wäre? 

Ich bin müde 

Worum es mir hier geht? Um die Anerkennung, dass ich eine Summe meiner Erfahrungen bin, dass mein Frausein, mein Muttersein, mein alleinerziehend sein und mein Schwarzsein mich zu dem machen was ich bin. Aber was mein wirkliches Anliegen ist: dass ich mich im Social Impact Sektor nicht repräsentiert sehe. Vor allem im Start-up Bereich werden Menschen wie ich des Öfteren nicht mitgedacht. Familienfreundlichkeit, individuelle Lösungen und Flexibilität sind eher in Großkonzernen und vielleicht staatlichen Agenturen zu finden, nicht aber in einem Sektor, der doch eigentlich zu einer besseren Welt beitragen möchte. Ich verstehe das man sich vor allem am Anfang auf sein Netzwerk verlässt um zu starten aber wenn das eigene Netzwerk nun mal sehr homogen ist, dann ist klar das was daraus wächst nicht besonders divers sein kann, es sei dann man macht sich die Mühe und denkt vorausschauend mit. Ich weiß leichter gesagt als getan. Abgesehen davon, dass augenscheinlich und statistisch der Großteil der Gründer, Vorstände usw. männlich sind, dauert es oft lange bis Personalstrukturen so gewachsen sind, dass sie einen wirklich ganzheitlichen Ansatz zulassen. Ich verstehe auch warum das oft so ist, ich glaube nur das ‚belonging‘ vor allem bei Neugründungen mitgedacht werden muss, wie schaffe ich es das sich eine diverse Gruppe an Menschen für uns interessiert und Teil von uns sein möchte.  

Ich kann gut verstehen, dass soziale Aufsteiger*innen oder migrantische Arbeitsanfänger*innen erst einmal Geld verdienen wollen und sich im Social Business Bereich nicht verorten. Oft wird über Jahre auf Niedriglohnlevel gearbeitet, ist ja alles: for the cause. Wenn man aber eine Familie ernähren muss und auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf angewiesen ist, dann wird der Einstieg schwierig. Worauf will ich wirklich hinaus? Ich will anschaulich machen, dass Intersektionalität ein wichtiges Thema ist. Menschen müssen auf vielen verschiedenen Ebenen wahrgenommen werden, um von ihren vielschichtigen Erfahrungen zu profitieren. Es lohnt sich. Es ist wichtig für den Social Impact Sektor sich um der Positionierung der Mitarbeiter*innen bewusst zu sein. Nur dann kann man Zugehörigkeit fördern und von Diversität auf allen Ebenen profitieren. 

Ich arbeite gerne in meinem Feld, ich arbeite gerne in einem jungen, innovativen Sektor, und habe in meinem Werdegang sehr viel Wertschätzung und Unterstützung erfahren. Ich würde mich nur freuen, wenn wir Lösungen nicht für uns einfordern müssten, sondern von Grund auf mitgedacht würden. Denn das ständige hochspringen und mit den Händen wirbelnde „Hallo seht ihr mich?“ macht verdammt müde.