Wie die Unzufriedenheit im Social Impact Sektor uns zusammenbrachte

Gründungsmitglied und Vorstandsmitglied Isabell Theodoridou erzählt von den Anfängen des Vereins duvia e.V.

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von Isabell Theodoridou – duvia e.V., January 19, 2021
Das Team des duvia e.V.

Header: Von oben nach unten: Stipo Zeba; Filiz Dağcı , Katharina Müller, Gitanjali Schmelcher, Mary Ivić, Reina-Maria Nerlich, Isabell Theodoridou & Aylin Koç; © duvia e.V.

to belonging* ist unser nächster Schritt, um das Thema Anti-Diskriminierung neu zu denken und zu handeln. Weg vom Diskurs der Sichtbarkeit von Diversity und Inklusion hin zu einer authentischen und gelebten Zugehörigkeit aller marginalisierten Gruppen. Dies soll zu einem radikalen systemischen Wandel führen im Impact Sektor, von “Macht über” und “Macht für” hin zu “Macht mit”.  Diese Serie wird ermöglicht durch die Open Society Foundations.

In den folgenden Absätzen beschreibt Isabell Theodoridou des Vereins duvia e.V. – dessen Schwerpunkt auf der Konzipierung und Durchführung von demokratiepädagogischen Projektformaten und Workshops liegt – die Geschichte ihrer Vereinsgründung und was das alles mit einer Unzufriedenheit im Social Impact Sektor zu tun hat.

Das Kennenlernen

Ganz ehrlich? Wir haben uns gesucht und gefunden. Wie pathetisch es auch klingen mag, wie kindlich in seiner Annahme: Das ist unsere Wahrheit. Wir sind duvia – Demokratie und Vielfalt in Aktion – und wir kennen uns schon lange, viel länger als es unseren Verein gibt.

Wir haben bereits eine gemeinsame Berufsvergangenheit, in der wir als Team zusammengewachsen sind. Begegnet sind wir uns zum ersten Mal in einem Projekt im Social Impact Bereich, welches für uns, die wir den Wunsch nach sozialer und politischer Gerechtigkeit in uns trugen, sofort identitätsstiftend und ansprechend war. Gesucht haben wir nach einer Arbeit, die unseren Werten entspricht, die Sinn macht und einen Impact hinterlässt.

Einige mögen es vielleicht Naivität nennen, aber wir haben sehr ehrlich zu unseren Gefühlen gestanden. Wir haben uns untereinander offen, hilfsbereit und wohlwollend verhalten. Individuelle Lebensentscheidungen haben wir kreativ, mit persönlichem Einsatz und mit Rücksichtnahme darauf unterstützt, dass wir alle einmal in einer Situation sein würden, die vom normativen Arbeitsgeschehen abweicht. Arbeitsmodelle im Sinne des New-Work-Konzeptes, auch wenn uns das zum damaligen Zeitpunkt noch kein Begriff war, haben wirgemeinsam umgesetzt. Verbindlichkeiten wurden eingehalten und wir haben so das Vertrauen untereinander gestärkt. Erfolg und Sorgfalt waren uns wichtig und trotzdem haben wir viel miteinander und auch übereinander gelacht. Wir lachen immer noch viel und oft und auch sehr laut.

Neben der Verbundenheit aufgrund unserer gemeinsamen Werte, erfolgte die Identifikation mit der Zielgruppe des Projektes, für welches wir gearbeitet haben, fast automatisch. Denn auch wir sind Kinder aus Arbeiter*innenfamilien, hier aufgewachsene Kinder mit internationaler Geschichte, Kinder mit einer anderen Herkunftssprache und dem Gefühl, trotz des Bildungsaufstieges, den wir geschafft haben, nicht ganz dazuzugehören. Irgendwie schienen wir nun aber eine Plattform für unser Team gefunden zu haben. Die Erfahrungen aus unseren Lebenswelten waren gleichzeitig auch unsere Kompetenzen.

Die Gründung

Doch die gemeinwohlorientierte Arbeit, die wir nach außen geleistet haben, haben wir im Inneren häufig nur in unserem Team erlebt. Weiter oben in der Hierarchie dann leider nicht mehr. Strukturell mussten wir lernen, dass auch innerhalb des Social Impact Bereichs ungerechte und diskriminierende Mechanismen wirkten. In Erinnerung geblieben sind uns sinngemäß Sätze wie: „Du bist klug und innovativ, aber deine Ideen darfst du nicht selbst verantworten; Dein Mann verdient ja ganz gut. Du brauchst doch dann nicht so viel Gehalt!” Wir mussten erfahren, dass der Wunsch nach erhöhter Teilhabe und Sichtbarkeit im Job einen zu Konkurrent*innen eines Unternehmens machen kann.

Aber wie meine liebe Freundin und Team-Kollegin Mary Ivić sagt: „Irgendwann reicht es nicht mehr nur von seinem Team gesehen zu werden. Irgendwann sind die Verletzungen groß und man merkt, dass man raus muss.“

Im Umgang mit solch schmerzhaften Erfahrungen haben all unsere Mitglieder im Laufe der Zeit ganz eigene Resilienzen entwickelt, um sich dem herausfordernden Gefühl, dass es an der Zeit sei zu gehen, zu stellen. Einige waren mutig und haben sich ohne jegliches Backup losgelöst, um den eigenen Selbstwert zu schützen. Andere haben noch etwas länger durchgehalten und sich dann verabschiedet und wiederum Anderen wurden Angebote gemacht, die offensichtlich eine Einladung zum Gehen waren: „Herzlichen Glückwunsch zur Schwangerschaft. Ja, wir freuen uns dich dann nach der Elternzeit wieder im Team dabei zu haben. Ja, gehaltstechnisch bleibt fast alles beim Alten: „nur“ drei Gehaltsstufen niedriger.“ Okay, Ciao. Es war für uns alle früher oder später an der Zeit, sich einen neuen Job zu suchen. So hat sich eine Art kollektives Gedächtnis gebildet, in welchem all unsere Erfahrungen in einer Art Selbsthilfegruppe gemeinsam nach einer Lösung gesucht haben. Der erste Schritt war es also sich ganz individuell zu lösen und der zweite war es das ehemalige Team, seine Stärken, die Herzlichkeit, die Streitkultur und das erarbeitete Vertrauen nicht zu verlieren. Und so haben wir unseren Erfahrungen einen Sinn gegeben und nach einem gemeinsamen Wochenende in einem einsamen Haus in Polen, den Auftakt für die Gründung gelegt: Wir sind duvia, ein eingetragener Verein, der mit all seinen Facetten demokratische Werte, wie Gerechtigkeit, Solidarität, Teilhabe und Sichtbarkeit von Minderheiten fördert und Vielfalt lebt. Unterschiedliche Perspektiven sollen sich wechselseitig produktiv ergänzen.

Unsere Arbeit

Unser Schwerpunkt liegt in der Konzipierung und Durchführung von demokratiepädagogischen Projektformaten und Workshops. Wir möchten es schaffen, die Menschen, mit denen wir arbeiten zu empowern und gleichzeitig für den gesellschaftlichen Wandel zu sensibilisieren. Wir möchten die Fehler, die wir gesehen und erfahren haben, vermeiden. Wir möchten niemanden aufgrund seiner (vermeintlichen) geschlechtlichen Zugehörigkeit diskriminieren, wir möchten niemandem Grenzen setzen, die eigenen Potenziale zu entfalten, wir möchten niemanden ausschließen, nur weil ihre*seine Lebensentscheidungen nicht zu unseren passen.
Wir arbeiten als Organisation im Social Impact Sektor, der uns am Herzen liegt und den wir stärken möchten, weil es noch zu viele schmerzhafte Erfahrungen von Diskriminierung, Rassismus und/oder Sexismus gibt.

Eine unserer Säulen ist, neben der bedarfsorientierten Konzipierung von Workshops und Projekten, die Berufsqualifizierung. Ein Job, eine Ausbildung oder ein Studium sind oft wichtige Meilensteine auf dem Weg zur aktiven gesellschaftlichen Teilhabe. Mit eigens entwickelten Workshops, wie etwa für das Programm „Berlin braucht dich!“, unterstützen wir Schüler*innen auf diesem wichtigen Weg. Dabei schwingt für uns immer der Wunsch mit, die Jugendlichen aus unseren Erfahrungen lernen zu lassen: Egal wie perfekt und sinnstiftend die beruflichen Kontexte, in denen man sich bewegt, erscheinen mögen, man sollte sich immer trauen, sie und sich selbst in Hinblick auf Strukturen und Hierarchien kritisch zu hinterfragen.

Zu ausgrenzend sind auch in der Arbeits- und Ausbildungswelt oft die Strukturen und erschweren den Prozess des Dazugehörens und des Sich-Zugehörig-Fühlens. Räume, die hauptsächlich von weißen jungen Menschen aus privilegierten Haushalten eingenommen werden, die gut sozialisiert und mit einem eigenen Verhaltenscode mit habituellen Gegebenheiten ausgestattet sind, ohne diese zu hinterfragen, führen dazu, dass alle, die diese Kategorien nicht erfüllen, sich ausgeschlossen fühlen.

Unsere Ziele & Wünsche

Wir möchten junge Menschen dazu empowern, vorherrschende Mechanismen kritisch zu hinterfragen und sie für Themen wie Diskriminierung, Rassismus, Sexismus und undemokratische Strukturen sensibilisieren. „To belonging“ bedeutet für uns die unsichtbaren Hürden, die noch an so vielen Stellen fühlbar sind, aufzuzeigen, zu hinterfragen und aufzulösen. Und wir sind uns bewusst, dass diese Form des Zusammenwachsens nicht einfach ist und bisweilen sogar weh tun kann. Diesen Prozess möchten wir jedoch begleiten: manchmal provokativ, manchmal behutsam, aber immer proaktiv. Wir dürfen nicht aufhören uns nach jeder getanen Arbeit, egal, ob mit jungen Menschen oder in der Erwachsenbildung oder nach internen Arbeitsprozessen, zu fragen, ob wir achtsam genug waren, ob wir antirassistisch genug gehandelt und gedacht haben, ob wir feministische Perspektiven eingenommen haben und wessen Perspektive wir möglicher Weise im Arbeits- und Organisationsprozess vernachlässigt haben.

Was wir dafür brauchen? Ausreichend Schlaf, viel Bewegung und eine ausgewogene Ernährung? Vielleicht. Aber viel mehr und das hat mich meine dreijährige Tochter gelehrt, sollten wir die Welt manchmal mit Kinderaugen sehen: Kinder bis zu einem bestimmten Alter stellen sich überhaupt nicht die Frage, ob sie gut aussehen oder kommen gar auf den Gedanken, dass sie nicht schön sein könnten. Und daher bewerten sie auch andere Menschen nicht nach diesem Schema. Sie stellen sich nicht die Frage, ob jemand gut aussieht, was jemand trägt, wer wen liebt.

Wie wir die Welt und ihre Menschen bewerten, ist unsere Konstruktion und wir sollten uns bewusst sein, dass das im Umkehrschluss auch bedeutet, dass wir sie wieder dekonstruieren können.

Ein Team, wie wir es gefunden haben, das sich dabei immer wieder wertschätzend und zugleich kritisch gegenseitig auf die Finger schaut, ist für uns der Schlüssel um "to belonging" realisierbar zu machen.


Autorin Isabell Theodoridou

About:

duvia e.V. ist Demokratie und Vielfalt in Aktion. Wir sind ein neugegründeter Verein, der auf Basis der jahrelangen Erfahrung seiner Mitglieder in der demokratiepädagogischen Bildungsarbeit mit erprobten und lebensweltlichen aber auch neuen Ansätzen und Methoden unsere gelebte Vielfalt und Demokratie fördern und stärken möchte.

Website: https://duvia.de