Erfahrungsbericht: Gründung eines Black Owned Business im deutschen Impact-Sektor

Ein Werdegang über Diskriminierung im Leben und der Prozess hin zur Gründung eines nachhaltigen Haarpflegeunternehmens.

Teilen
von Jen Martens – ŌMAKA, November 15, 2022
ŌMAKA

Header: Jen Martens © Steve Thomas Photography

Jen Martens ist einer der wenigen Schwarzen Gründer*innen im nachhaltigen Impact Sektor. Sie hat mitten in der Corona Pandemie ihr Unternehmen ŌMAKA gestartet und damit einen Neuanfang gewagt.

Bist du ein*e BPIoC Unternehmensgründer*in? Wir möchten dich und deine Produkte in unserem Giftguide vorstellen! Oder möchtest du dein Lieblingsunternehmen empfehlen? Nimm noch heute Kontakt (hello@tbd.community) auf.

Trigger Warnung: Der folgende Text könnte insbesondere für Schwarze Personen schwierige Gefühle, Erinnerungen oder Flashbacks hervorrufen. Der Text enthält rassistische Erlebnisse. Bitte sei achtsam, wenn das bei dir der Fall ist.

Ich sah auf die Uhr und hatte noch genau drei Minuten, bevor es zur Pause klingelte. Schnell packte ich meine Schulsachen ein und bereitete mich darauf vor, was mich erwarten würde. Ich war damals in der sechsten Klasse einer Hamburger Schule. Die Gegend meiner Schule– sie nannte sich damals Orientierungsstufe – war nicht die schlechteste. Es wohnten sowohl Menschen mit viel Geld dort als auch Menschen, die weniger hatten. Heute würde ich sie als Mittelklasse bezeichnen. Ich hätte auch in meiner Wohngegend zur Schule gehen können, aber ich wohnte in einer sozial sehr schwachen Umgebung und dachte damals dass ich es schwerer haben würde mit meinem Aussehen und der Wohngegend eine Ausbildungsstelle zu finden. So überzeugte ich meine Pflegeeltern, meine Grundschul-Lehrer*innen mich auf die Schule in der besseren Gegend gehen zu lassen.

Es klingelte also zur Pause und ich lief los, so schnell ich konnte. In jeder Pause machte ich das Gleiche: Ich lief zu meinem Versteck im Schulgebäude und aß dort mein Pausenbrot. In meinem Versteck hatte ich meine Ruhe. Keiner zog mir an den Haaren, rief mir hässliche Schimpfwörter zu, bezogen auf meine Hautfarbe oder meinen vollen Lippen. Als Schwarzes Mädchen war das Leben, das ich bisher kennenlernen durfte, nicht einfach.

Die Schulzeit war für mich eine harte Zeit. Trotz Aufsichtslehrer*innen hatte ich keinen Schutz vor den Kindern. Denn solange mich keiner angriff, war ich auf mich allein gestellt. Weil ich mir nicht anders zu helfen wusste, versteckte ich mich.

Ich wuchs bei Pflegeeltern auf und auch sie wussten nicht, wie sie mir helfen sollten. Die Wochenenden verbrachte ich bei meiner leiblichen Mutter. Ich war damals zwölf Jahre alt und erinnere mich heute noch, wie ich ihr meine Lage in der Schule erklärte: Ich wurde aufgrund meiner Haare und Hautfarbe in der Schule von mehreren Kindern täglich geärgert. Ich war die einzige Afrodeutsche auf der ganzen Schule und hatte keine*n Verbündete*n.

Ich wollte meine Haare verstecken. Weder meine Pflegeeltern noch meine Mama wussten, wie sie meine Haare richtig pflegen sollten. So wurde mit allen Mitteln versucht, die Haare weich und kämmbar zu machen. Zur Pflege hatten wir Babyöl, später kam noch Pink Oil dazu, eine damals beliebte herkömmliche Feuchtigkeitspflege. Aber ich liebte sie überhaupt nicht: Meine Afrohaare glänzten und waren ölig. Ich konnte mich nirgendwo anlehnen, ohne einen Fettfilm zu hinterlassen. Ich wollte mir gern Rastas flechten lassen, damit ich mit meinen Afrohaaren nicht mehr auffiel. Aber meine Mama war dagegen. Sie war in der Hinsicht sehr strikt und sagte, dass ich mit 18 Jahren alleine über meine Haare entscheiden könne.

Um mich dem Schönheitsideal anzupassen, schlug meine Mama vor, meine Haare chemisch zu glätten. Ich willigte ein. Und lange war ich sehr froh über diese Entscheidung, obwohl ich alle sechs Wochen meine Haare erneut glätten musste: Ich fühlte mich mit den glatten Haaren dazugehörig und schön. Meine Schulzeit wurde entspannter, ich gewann an Selbstbewusstsein dazu und konnte mich verbal immer besser verteidigen. Im Nachhinein verrückt, welche wichtige Rolle meine Haare in meinem Leben schon immer gespielt haben.

Unser Haar ist unsere Identität. Ich habe lange gebraucht, um das zu erkennen.

Es sprießt immer wieder aufs Neue. Es krönt uns. Es bildet uns ab. Es verleiht unserer Persönlichkeit Ausdruckskraft! Es hat die Power, “gute” von “schlechten” Tagen zu unterscheiden. Es ist ein Statement und es steckt so viel Macht in unseren Haaren.

Mein Haar hat mich zurück zu meinen Wurzeln geführt.

Und zwar nach Ghana. Ich erinnerte mich damals lebhaft daran, wie meine Großmutter viele Stunden damit verbracht hatte, aufwändige Rezepturen zur Pflege von Haut und Haar herzustellen. Dafür nutzte sie Moringa, Shea-Butter, Arganöl – reichhaltige, nährende Geschenke der Natur. Gemacht, um unserem Körper genau das zu geben, was er benötigt, um gesund zu sein. Und schön! Genau dafür sollten wir uns Zeit nehmen, das wurde mir besonders klar: Zeit, um unsere Bedürfnisse zu erkennen. Zeit, um sie zu erfüllen. Aber zuerst die Zeit, uns zu erkennen und anzuerkennen. Diese Erkenntnis findet sich heute in allen Produkten von ŌMAKA wieder. Sie sind eine Hommage an meine Heimat. An meine Kultur und die Natur in Ghana. An die Ursprünglichkeit und damit: an unsere Identität. ŌMAKA soll mit seinen nährenden Mixturen aus wertvollen Ölen und belebenden Kräutern dafür Sorge tragen, dass auch Du Dir mehr Zeit für Dich nimmst. Dass Du Deine Schönheit anerkennst und Deine Identität mit voller Ausdruckskraft lebst!


Produktbild Shampoo Seife © ŌMAKA

Heute sage ich „Danke“!

Ich danke all denen, die mich überhaupt erst dazu gebracht haben, mich eingehender mit meiner Haarpracht auseinanderzusetzen. Denn ja, es stimmt: Locken, Curly Hair, Afrohaare – sie alle brauchen viel Zuwendung. Sie müssen im wahrsten Sinne des Wortes begriffen werden. Sie brauchen exklusive Pflege. Und sie verdienen auch eine ganz besondere Behandlung. Der Ärger mit meinem Haar hat mich dazu gezwungen, mich wirklich mit meinem Haar auseinanderzusetzen. Und wenn ich “mein Haar” sage, dann meine ich im Endeffekt mich selbst. Bevor ich dahin gekommen bin, wo ich jetzt bin, musste ich einige Hürden überwinden. Zuerst schaffte ich es einfach nicht, meine Produkte auf den Markt zu bringen und mir meinen Traum zu erfüllen. 2016 erweckte meine Schwangerschaft den Wunsch wieder sehr stark, und 2017 standen endlich die ersten richtig guten Rezepturen. Ich testete Muster in meinem Freundeskreis und sie kamen gut an. Aber ich fand trotzdem niemanden, der meine Produkte herstellen wollte! Ich bekam immer ähnliche Rückmeldungen: „Gibt es dafür eine Kaufkraft?“ – „Mädel, Du schmeißt Dein Geld raus!“ – „Du als Hausfrau meinst, Du kannst mit den Großen mitmischen?“

Jeder Mensch, der auch schon mal versucht hat, seine Träume zu verwirklichen, weiß, wie weh diese Worte tun. Diese Rückschläge brachten mich immer wieder von meinem Weg ab und ich ließ mich entmutigen. Doch mein Antrieb war jetzt ein größerer: Ich wollte meinem Sohn eine Haarpflege anbieten können, die richtig gut ist und mit der er seine Afrohaare lieben lernt! Ich wollte ihm nicht aus Mangel an Wissen und Produkten für lockige Haare ein Stück seiner Identität nehmen, wie es mir passiert war. Stattdessen wollte ich die Geschenke der Natur weitergeben, über die meine Großmutter mich gelehrt hatte, und damit ihm und anderen Menschen mit Afrohaaren Lebensqualität spenden. Ich lernte von der Stärke meines Sohnes, die er beim Laufenlernen zeigte, bäumte mich wieder auf – und wollte mich durch nichts mehr von meinem Traum abbringen lassen. Auch ich würde, genau wie er, immer wieder aufstehen und niemals aufgeben! Ich kämpfte mich durch meine Unsicherheit und Zweifel. Schließlich fand ich Ende 2018 endlich einen Hersteller. Durch meine zweite Schwangerschaft musste ich noch ein wenig pausieren, aber dann war ich bereit, um richtig durchzustarten! Doch zunächst bekam ich einen zusätzlichen Dämpfer: Vom Markennamen Frolicious fühlten sich nur Menschen mit Afrohaaren angesprochen und keine Menschen mit europäischen Locken. Ein neuer Name musste her! Zu diesem fand ich intuitiv: Ich fühlte, dass mein Business ein Neuanfang für mich war und auch für viele andere Menschen sein würde. Bei meiner Recherche fand ich das Wort „ho’omaka“, das „Neuanfang“ auf Hawaiianisch bedeutet. Ich liebte den Klang! So wurde ŌMAKA geboren.

Ich testete den Namen bei meinem damals zweijährigen Sohn an, durch dessen Inspiration mein Business überhaupt entstehen konnte. Als er sich den Namen merken konnte, war mir klar: ŌMAKA war das Wort, das meiner Mission und Vision Gestalt verleihen würde. Ich möchte, dass ŌMAKA neben großen Marken in einem Rutsch genannt wird, wenn es um gute Haarpflegeprodukte geht. Außerdem möchte ich die Wünsche meiner Familie erfüllen: Mein Sohn und ich wünschen uns ein riesiges Haus mit einer Rutsche neben der Treppe. Und ich hätte gerne eine große Schaukel im Flur für mich! Ich erlaube mir, groß zu träumen. Ich weiß, dass all das wahr werden kann – denn ich habe gelernt, dass ich mir von niemandem einreden lassen darf, dass meine Träume quatsch sind!

Es gab viele Menschen, die nicht an ŌMAKA geglaubt haben. Ich musste lernen ein positives Mindset zu haben. Auch die Vernetzung unter anderen Gründer*innen und insbesondere Black-owned Gründer*innen ist für mich sehr wertvoll geworden. Der Austausch unter Menschen, die einen verstehen, gibt mir positive Energie an weniger guten Tagen. Denn es gibt solche und solche Tage. Ich habe meine Produkte eine Woche vor der Pandemie auf den Markt gebracht. Beide Kinder waren zu Hause und ich wollte einen leisen Launch machen, um zu sehen, wie ich mit den Bestellungen klarkomme. Natürlich sind mir dadurch eventuell Umsätze entgangen, aber mir war es wichtig, mich nach und nach immer besser aufzustellen, als von Anfang an überfordert zu sein.

Eine weitere Herausforderung war vor einigen Monaten ein größerer Transportschaden, der total unerwartet kam und mich in Lieferschwierigkeiten brachte. Aber solche Dinge passieren eben! Ich musste lernen, zu priorisieren und mich akribisch zu organisieren. Anders würde ich es nicht hinbekommen. Aber obwohl es manchmal stressig ist, liebe ich ŌMAKA und freue mich jeden Tag darüber, dass ich nie aufgegeben habe!

Als Gründer*in, die sich getraut hat ihren Traum zu leben, kann ich anderen mutigen Gründer*innen auf jeden Fall sagen: Macht es, es lohnt sich. Ich lerne jeden Tag dazu und habe keine Angst, Fehler zu machen. Ich habe aufgehört, zu rechnen, wie viel Lehrgeld ich schon gezahlt habe. Aber das gehört zum Wachstum dazu.

Außerdem halte ich es für wichtig, der eigenen Überzeugung zu folgen und sich nicht vom eigenen Weg abbringen zu lassen: Wenn du stockst, dann mach einfach mal eine Pause. Wenn du fällst, dann rück deine Krone zurecht und steh wieder auf und such dir einen anderen Weg. Sei nicht zu streng zu dir. Steck dir kleinere Ziele und feiere dich, wenn du diese erreicht hast.

Über Mich

Ich bin Jen Martens und habe ŌMAKA gegründet. Aufgewachsen bin ich in Hamburg und Ghana.


Portrait vom Jen Martens © Steve Thomas Photography

Ich habe ŌMAKA gegründet, weil ich Unsicherheiten und Zweifel durch das Gefühl einer warmen Umarmung und liebevolle Bestärkung ersetzen möchte. Ich möchte mit ŌMAKA eine nachhaltige Firma aufbauen, die nie die Bodenhaftung verliert, sich nach den Bedürfnissen der Kund*innen richtet und ehrgeizig nach Wachstum strebt. Mein Wunsch ist es, dass insbesondere Menschen mit stärkeren Locken, wie z.B. Afrohaare ihre Identität wertschätzen und von Selbstliebe erfüllt sind. Außerdem möchte ich mit ŌMAKA Arbeitsplätze schaffen und in Ghana Frauen helfen, damit sie ihr eigenes Business mit ihren Talenten aufbauen können, so wie ich es hier in Deutschland getan habe. Ich möchte mich für Kinder in Ghana und Deutschland einsetzen, die weniger privilegiert sind als ich.

Onlineshop: www.omaka.de

Instagram: www.instagram.com/omaka.de

Facebook: www.facebook.com/omaka.de

Dieser Artikel wurde ursprünglich im Oktober 2021 veröffentlicht.