Was ich von meinem Burn Out gelernt habe - und warum ich darüber sprechen möchte

Sabine Gernemann erzählt im Interview, wie sie mit ihrer Burn Out Erkrankung umgegangen ist und was sich ihrer Meinung nach ändern muss.

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von Sabine Gernemann, June 4, 2018
Burn Out

Sabine Gernemann arbeitet seit 12 Jahren als Campaignerin und ist letztes Jahr länger wegen Burnout ausgefallen. Nun möchte Sie mit uns darüber sprechen. Das ist großartig, aber doch eher ungewöhnlich.

sabine gernemann

Warum tust Du das?

Du sagst es schon: Es ist unüblich, darüber zu sprechen und das möchte ich ändern, weil ich glaube, dass es Rede- und Handlungsbedarf gibt. Ich beobachte, dass viele meiner Kolleg/innen oft am Limit der eigenen Kapazitäten arbeiten und erschöpft sind. Und trotzdem weitermachen, es sich nicht erlauben, mal einen Gang runterzuschalten. Die Be- und Überlastung ist immer wieder Thema bei den informellen Flurgesprächen, Stress eigentlich ein Dauerzustand. Als ich dies nach meiner Rückkehr – ich war ein dreiviertel Jahr krank – sehr offen in einem Meeting angesprochen habe, war ich völlig überrascht, dass die meisten in der Runde nicht mitgezogen haben. Ich hatte angenommen, dass ich offene Türen einrenne, eine lebhafte Diskussion entsteht und wir gemeinsam schauen, wie wir dem Dauerbrenner Stress strategisch begegnen können. Das Gegenteil war der Fall. Ich habe Unsicherheit und Angst gespürt, niemand wollte sagen „Ja, ich bin überlastet und ich brauche Unterstützung.“ Was ich stattdessen gehört habe, war „Ich selbst bin nicht betroffen, aber es gibt sicher solche Fälle. Ich habe wirklich sehr viel zu tun! Aber alles im Griff.“ Das hat mich schockiert. Überlastung und Erschöpfung sind Tabus. Selbst, wenn die Chefs nicht mit im Raum sind.

Ich möchte andere ermutigen sich zu öffnen und über ihre Realität zu sprechen. Die Sorge vor dem Stigma, das einem als vermeintlich nicht mehr belastbare Arbeitskraft anhaftet, kenne ich selbst nur zu gut. So zu tun, als gäbe es kein Problem, auch struktureller Art, finde ich ignorant und falsch.

Arbeitgebern möchte ich unbedingt klarmachen: Erschöpfung und Burnout sind kein Privatvergnügen! Personaler/innen und Leitungskreise tragen eine Mitverantwortung, wenn Mitarbeiter/innen mit dieser Diagnose ausfallen. Es ist an ihnen, sich dahingehend weiterzubilden, um entsprechende Maßnahmen frühzeitig einzuleiten.

Kannst Du uns etwas davon erzählen, was Du durch Deine Erfahrung über die Ursachen von Burnout gelernt hast?

Burnout ist ja bislang keine anerkannte medizinische Diagnose, und die Symptome und Auslöser sind komplex und vielfältig.

Ich persönlich habe, mal stark runtergebrochen, die Ursachen vor allem auf zwei Ebenen erlebt. Zum einen gibt es die persönliche Ebene. Überhöhte Ansprüche an sich selbst, Über-Ambition, die Schwierigkeit, eigene Bedürfnisse ernst zu nehmen, vor allem wenn man doch für das gemeinsame große Ganze kämpft. Die eigenen Probleme erscheinen vielleicht lächerlich im Vergleich zu denen der Menschen in wirklicher Not, mit denen wir uns in unserer täglichen Arbeit beschäftigen. Selbstfürsorge kommt einem möglicherweise unangemessen vor, angesichts des Leids in der Welt.

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Entgrenzung ist ein weiterer Punkt. Als Ansprechpartnerin für freiwillige Unterstützer/innen werde ich mehr oder weniger rund um die Uhr kontaktiert. Privates und Arbeit vermischen sich stark. Ich empfinde meine Arbeit als bereichernd, aber sie verlangt mir auch emotional einiges ab und geht an die Reserven. Das muss aufgefangen werden, auch vom Arbeitgeber. Der muss sich aber überhaupt erstmal dessen bewusst sein.

Das bringt mich zu der anderen Ebene: die Rahmenbedingungen und Strukturen bei der Arbeit. Mangelnde Wertschätzung, unklare Verantwortlichkeiten, fehlende Entwicklungsmöglichkeiten – vor allem für Mütter, die nach der Elternzeit zurückkehren – fehlende Prioritätensetzung: Diese Faktoren können dazu führen, dass sich aus anfänglicher idealistischer Begeisterung und großem Engagement eine Spirale der Ernüchterung, Frustration, dauerhafter Überlastung und schließlich Erschöpfung entwickelt.

Wie gesagt, das ist sehr verkürzt dargestellt. Aber diese Aspekte spielen eine Rolle und bedingen sich negativ. Die Rechnung geht nicht mehr auf: Ich gebe dauerhaft bedeutend mehr rein als ich rausbekomme und beute mich selbst aus. Verrückt in einem Sektor, der sich gegen Ausbeutung andernorts starkmacht.

Was können Arbeitgeber tun, um Burnouts bei ihren Mitarbeiter/innen vorzubeugen? Was können (potentiell) Betroffene tun?

Seitens der Arbeitgeber spielt Anerkennung eine wichtige Rolle. Ist sie innerhalb des Teams gerecht verteilt? Ist die Entwicklung, die ein/e Mitarbeiter/in durchmacht, ablesbar? Etwa am Titel. Gibt es ein transparentes und gerechtes Gehaltsmodell, werden Fortbildungen aktiv angeboten, Perspektiven, familienfreundliche Arbeitszeitmodelle? Dabei ist mir schon klar, dass NGOs begrenzte Ressourcen haben und keine Extras wie VW oder andere große Wirtschaftsunternehmen anbieten können.

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Wertschätzende und professionelle Kommunikation nach innen, also an die Mitarbeiter/innen und Teams, ist meiner Meinung nach genauso wichtig wie Außendarstellung gegenüber Spender/innen. Die Mitarbeiter/innen leben die Organisation, deren Werte und Mission! Sie müssen sich gesehen fühlen.

Konkret zum Thema Burnout: Im ersten Schritt müssen Arbeitgeber anerkennen, dass es dieses Krankheitsbild gibt, auch in den eigenen Reihen. Und dem Phänomen aktiv begegnen, sich informieren, Fortbildungen belegen.

Die Mitarbeiter/innen wiederum sollten möglichst früh ansprechen, wenn die Belastung zu hoch wird, nicht erst, wenn sie schon Dauerzustand ist. Verantwortung einfordern, aber auch selbst übernehmen. Mittlerweile finde ich es sehr professionell zu sagen: Ich streiche diese Aktion, weil sie unsere Kapazitäten überschreitet.

Erkennt man bei sich schon Symptome der Überlastung wie Schlaflosigkeit, Gedanken-Karussell tags und nachts, Unruhe, Fahrigkeit, Schwindel, Kopf-/Magen- sonstige Schmerzen – da ist der Körper einfallsreich: Pause machen, mit der/dem Hausarzt/-ärztin besprechen und Hilfe annehmen.

Ich möchte aber nochmal betonen, dass Selbstfürsorge das eine und ohne Zweifel wichtig ist. Die oben genannten strukturellen Probleme lassen sich aber nicht durch die Optimierung des Selbst lösen.

Wie sieht es im Non-Profit Bereich aus um das Thema Burnout, Stress und Wellbeing? Gibt es viele Unterstützungsangebote?

Es wäre anmaßend, die Frage für einen ganzen Sektor zu beantworten, das kann ich nicht beurteilen.

Aber ich persönlich kenne nur die Angebote, um die ich mich privat gekümmert habe. Es gibt die New Work-Bewegung, die sich mit alternativen Arbeits-Modellen beschäftigt bzw. praktiziert. Das beobachte ich sehr interessiert, aber ist bislang eine Nische.

Möglicherweise haben traditionelle Arbeitgeber Sorge, dass ihnen schlechte Personalführung nachgesagt wird, wenn sie was zum Thema anbieten. Ich wünsche mir jedenfalls mehr Initiative. Es ist keine Neuigkeit in Sachen Personalführung, dass zufriedene Mitarbeiter/innen wesentlich produktiver und weniger krank sind. Am Ende kann man sogar wirtschaftlich dafür argumentieren, mehr in das Wohlbefinden der Einzelnen zu investieren, auch in NGOs. Das sollte meiner Meinung nach jedoch nicht die Haupt-Motivation sein.

Was möchtest Du unbedingt noch loswerden zum Thema?

Ein offenerer Austausch untereinander wäre eine Wohltat und könnte verhindern, dass Kolleg/innen sich runterwirtschaften, weil sie meinen, keine Schwächen zeigen zu dürfen. Ich selbst erwische mich noch oft genug bei der Einstellung: Je mehr Stress und Arbeit ich habe, desto wertvoller bin ich. Diese Denke habe ich so verinnerlicht und muss hart dagegen ankämpfen, um mir eine neue Sichtweise anzueignen, die sich richtig anfühlt. Und gesund ist.

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Um auf den Ausgangspunkt zurückzukommen: Wenn sich Leute hier angesprochen fühlen, freue ich mich über einen Kontakt über Eure Plattform. Ich kann mir sehr gut vorstellen, in Organisationen zu gehen und über das Thema zu sprechen und bin offen, ein Treffen zum Netzwerken ins Leben zu rufen. Danke jedenfalls, dass Ihr von tbd* dieser Angelegenheit Raum gebt.