Grundeinkommen ist ein Paradigmenwechsel

Interview über das neue Projekt von Joy Ponader und die Frage, was ein Grundeinkommen verändern würde.

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by Julia Loewe, March 21, 2019
Menschen gehen über Zebrastreifen

Wir leben in Zeiten der Automatisierung und Digitalisierung. Maschinen und Programme, welche unsere Arbeit einfacher und effizienter gemacht haben, ersetzten in vielen Bereichen menschliche Arbeitskräfte komplett. Dazu kommt, dass immer mehr Zweifel laut werden, ob unsere Sozialsysteme die Anforderungen einer alternden Gesellschaft überhaupt bewerkstelligen können. Reicht die Rente? Kann man vom Arbeitslosengeld seine Wohnung halten? Es liegt auf der Hand, dass neue Konzepte benötigt werden, um diese zukünftigen Herausforderungen zu meistern.

Joy, Mitbegründer von mein-grundeinkommen glaubt, dass das Grundeinkommen die Antwort ist. Dabei handelt es sich um ein festes Einkommen, welches der Staat jedem Bürger auszahlt. Wir haben uns mit Joy über das Thema und sein*ihr neues Projekt - dem Grundeinkommensbüro - ausgetauscht.

Was ist das neue Grundeinkommensbüro und was für Ziele verfolgt ihr damit?

Joy: Mit dem Grundeinkommensbüro möchten wir einen weiteren Meilenstein auf dem Weg zum Grundeinkommen in Deutschland setzen. So werden wir dafür sorgen, dass in Deutschland ab 2022 ein staatliches Experiment zum Grundeinkommen stattfindet – und zwar mit Hilfe eines entsprechenden Volksbegehrens in einem oder mehreren deutschen Bundesländern. Wir planen damit also eine kleine Volksabstimmung über das Grundeinkommen.

In Finnland gab es zwei Jahre lang das staatliche Experiment Grundeinkommen für eine zufällig geloste Gruppe von Sozialhilfebeziehenden - leider mit einer durchwachsenen Bilanz, weshalb es danach erstmal nicht weitergeführt wurde - was wollt ihr anders machen, bzw. die Politik überzeugen?

Joy: Das finnische Experiment hat gezeigt, dass es den Teilnehmenden an der Studie durchwegs besser ging, als ohne Grundeinkommen. Sie haben zwar nicht mehr Zeit in Lohnarbeit gesteckt als vorher, allerdings auch nicht weniger. Das war der finnischen Regierung aber zu wenig – sie wollte mit dem Versuch Kosten einsparen und die Arbeitslosenzahlen senken. Darum wurde das Experiment beendet.

Ein valides Grundeinkommensexperiment muss die gesamte Bevölkerung einbeziehen, nicht nur erwerbslose Menschen, wie es in Finnland gemacht wurde. Grundeinkommen ist ein Paradigmenwechsel hin zu einem neuen Gesellschaftsvertrag, nicht einfach eine neue fancy Absicherung gegen Armut oder Erwerbslosigkeit. Daher geht Grundeinkommen uns alle etwas an.

Mit dem Grundeinkommensbüro wenden wir uns daher an die Zivilgesellschaft, nicht an die Politik. Wir machen Medienarbeit und Kampagne, anstatt die Politik zu belagern. Wenn die Menschen in Deutschland ein Grundeinkommen wollen, dann wird es auch kommen. Und im Volksentscheid wird genau festgelegt, wie das Experiment am Ende aussehen soll.

Vor 5 Jahren hast du mit Micha Bohmeyer mein-grundeinkommen.de erfolgreich gegründet - ist der Druck beim neuen Projekt größer oder ist es entspannter?

Joy: Aus mein-grundeinkommen.de ist inzwischen ein Unternehmen mit über 30 festangestellten Mitarbeitenden geworden. Die Kampagne erreicht über 1 Million Menschen, und Jahr für Jahr fließen über die Website über 5 Millionen € an Spenden in das Projekt.

Natürlich ist da Druck da, jetzt wieder etwas zu machen, das funktioniert. Schließlich wollen wir das Thema Grundeinkommen mit dem Grundeinkommensbüro einen weiteren großen Schritt voranbringen.

Andererseits müssen wir der Welt und uns selbst nichts mehr beweisen. Wir wissen, dass man mit dem Thema Grundeinkommen die Köpfe und die Herzen der Menschen erreichen kann, wenn man es richtig macht. Das entspannt.

Was hat sich seitdem politisch geändert? Erfahrt ihr mehr Unterstützung/Kritik?

Joy: Verglichen mit vor 5 Jahren ist Grundeinkommen inzwischen ein mehrheitsfähiges Thema geworden. In fast allen Ländern Europas – auch in Deutschland – steht inzwischen mehr als die Hälfte der Menschen der Idee positiv gegenüber.

Über 70% der Menschen wünschen sich zudem Modellversuche in Deutschland. Da setzten wir an. Und wir laden explizit auch Menschen ein, die das Grundeinkommen kritisch sehen, oder die noch viele Fragen an das Thema haben. Denn das Experiment, das wir planen, soll ja auf genau diese Fragen Antworten suchen.

Denkst du ein Grundeinkommen würde sich positiv auf Arbeitsumstände auswirken (Zeitvertrag, Minijobber etc.)?

Joy: Ich glaube es war vorletztes Jahr auf der re:publica, da hat Andrea Nahles gesagt: „Das Grundeinkommen führt dazu, dass keiner mehr schlechte oder niedrig entlohnte Arbeit macht. Wenn das stimmen würde, dann käme ich ins Schwanken. Aber ich glaube, dass das nicht so funktionert”.

Wir glauben, es funktioniert. Wenn wir die Freiheit haben, nein zu einem Job zu sagen, bei dem die Umstände nicht passen, dann müssen die Arbeitsumstände so sein, dass wir dort gerne arbeiten. Dort, wo wir die Freiheit haben, nein zu sagen, haben wir auch die Freiheit, ja zu sagen, und damit die Bedingungen, zu denen wir arbeiten wollen viel stärker zu beeinflussen, als heute noch.

Wie sieht für dich die ideale Nutzung der Lebenszeit aus? Welche Rolle spielt die Arbeit dabei?

Joy: Ich war fast mein ganzes Berufsleben über selbständig – zuerst am Theater, dann als politische*r Berater*in und Prozessbegleiter*in. Erwerbsarbeit, Care-Arbeit, politisches Engagement und Privatleben haben dabei oft fließend ineinander gegriffen.

In meiner Zeit bei mein-grundeinkommen.de war ich tatsächlich das erste Mal in meinem Leben länger fest angestellt. Daran musste ich mich erst einmal gewöhnen.

Grundsätzlich tut es mir gut, Erwerbsarbeit und Freizeit klarer zu trennen, und zum Beispiel am Wochenende auch wirklich frei zu haben. Aber das ist wohl allgemein eine Herausforderung, wenn man im Startup-Umfeld unterwegs ist.

Johannes „Joy” Ponader ist politische*r Campaigner*in, Spiel- und Theaterpädagog*in und Prozessbegleiter*in. Zusammen mit anderen tollen Menschen hat Joy 2014 mein-grundeinkommen.de und 2015 sanktionsfrei.de gegründet. Jetzt eröffnet Joy in Berlin ein Grundeinkommensbüro.