"Wenn es kein Plastik zum Aufräumen mehr gibt, braucht es auch uns nicht mehr."

WILDPLASTIC stellt Müllbeutel aus gesammelten Plastik her und hat Großes damit vor. Wir haben mit Co-Founderin Nadia über ihre Vorhaben geredet.

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von tbd*, September 16, 2020

Header: Nadia © WILDPLASTIC

Inmitten des Nordpazifiks, dem Teilabschnitts des gleichnamigen Ozeans zwischen der Westküste der USA, Asien und Hawaii, treiben drei Millionen Tonnen Kunststoffabfälle in einem riesigen Strudel vor sich hin. Um diese abstrakt große Zahl in ein vergleichbares Augenmaß zu setzen: es handelt sich in etwa um die Fläche, auf der sich Mitteleuropa erstreckt. Dieses grauenhafte Plastik-Eiland ist Ergebnis unseres Umgangs mit dem künstlichen Material, das unkaputtbar scheint. Was viele nämlich nicht wissen: Plastik baut sich nicht ab, wie es Holz und Küchenabfälle tun, sondern muss langwierig von Wind und Wellen zermahlen werden, bis es sich in Form von winzig kleinem Mikroplastik in unserer Umwelt absetzt. Dieser Prozess dauert unterschiedlich lang, bei einer Plastiktüte zwanzig, bei einer Wasserflasche aus Kunststoff schonmal 450 Jahre.

Um zu verhindern, dass sich noch mehr (Mikro)plastik in unseren Ozeanen ablagern und um Strände und Wälder von der Plastikflut zu befreien, haben sich WILDPLASTIC etwas cleveres überlegt. Warum nicht Plastik aus der Natur sammeln und wieder nützlich machen? So kam ihnen die Idee der WILDBAG – dem ersten Müllbeutel, komplett bestehend aus gesammelten Plastik. Mit dabei im wilden Team ist auch die liebe Nadia Boegli, welche treuen Leser*innen bekannt sein sollte, da sie gemeinsam mit Naomi Ryland und Nicole Winchell tbd* mitgegründet hat. Ganz klar, dass wir alles über ihr neues Unternehmen und das damit verbundene Produkt wissen wollten!

Hallo, liebe Nadia! Erste Frage: DER, DIE oder DAS Bag?

Nadia: Haha. Ja, daran müssen wir noch arbeiten. Die WILDBAG. 

Erzähl uns ein bisschen über eure Gründungsgeschichte. Wer seid ihr, woher kommt ihr und wohin wollt ihr?

Nadia: WIR – das sind, von ganz vorne angefangen, unsere Held*innen aka. Sammler*innen, in den vom Plastikmüll "gebeutelten" Ländern, aus denen das WILDE Plastik herkommt. Unser Impact ist nicht nur darauf ausgelegt, die Umwelt vom Plastikmüll zu befreien, sondern wir wollen auch, dass die Sammler*innen fairer entlohnt werden und sich endlich etwas ändert an den Lebensbedingungen, unter denen diese Menschen tagtäglich ihre Existenz durch das Sammeln von Plastikmüll bestreiten. Wir wollen die Sammler*innen empowern. 

Wir sehen uns als eine Familie, Familie WILDPLASTIC und zusammen als Kollektiv haben wir der Vermüllung durch Plastik den Kampf angesagt. Wir alle sind aus unterschiedlichsten Gründen mit dem Plastikmüll-Problem in Kontakt gekommen. Beim Filmen auf offenen Müllkippen in Indien, beim Sammeln von Plastikmüll am spanischen Strand, beim Schwimmen im Amazonas, bei der Produktion in der Industrie, beim Design von nachhaltigen Verpackungen und vielen weiteren Erfahrungen. Wir kommen also aus den verschiedensten Richtungen: Der Kunststoffindustrie, aus Film & Media, aus erfolgreichen Startups/ Unternehmen, aus dem Design Studio, von FridaysforFuture. 

Momentan liegen in der Umwelt über 5 Mrd. Tonnen Plastikmüll. An Stränden, auf Straßen, in Flüssen, auf offenen Müllkippen. Unser Ziel ist es, dieses Plastik aufzuräumen und zurück in den Produktionskreislauf zu bringen. Und weiteres Plastik davor zu bewahren in der Natur zu landen.  So können wir die Umwelt vom Plastikmüll befreien, die Produktion von Neuplastik vermeiden, bessere Löhne für Sammler*innen gewährleisten und CO2 einsparen. 

Gibt es Learnings aus deiner tbd* Zeit, die dir bei der Gründung/ Führung im neuen Unternehmen helfen?

Nadia: Viele! Man kann die beiden Gründungen allerdings gar nicht vergleichen, denn die eine Firma habe ich mit Freundinnen gegründet und die andere mit Leuten, die ich vorher kaum bzw. gar nicht kannte. 

Ich glaube der Vorteil jetzt ist: wir mussten von Anfang an anders kommunizieren. Wir können nicht so viel auf Annahmen basieren (die wir hätten, wenn wir uns vorher bereits gut gekannt hätten) sondern müssen täglich fast überkommunizieren, um wirklich an unser Ziel zu kommen. 

Ich persönlich war immer unheimlich konfliktscheu, oft eher introvertiert und habe viele Unsicherheiten mit denen ich mein ganzes Leben bereits kämpfe, doch die letzten Jahre haben mir sehr geholfen mein authentisches Ich anzuerkennen, zu stärken und jetzt zu leben. Und davon profitiere ich, die neue Firma und vor allem die Mitarbeiter*innen. Jede*r hat einen Rucksack zu tragen, die Kunst ist es ihn anzuerkennen, ggf. auszuräumen und ihn nicht anderen anzuziehen. 

Gerade der Burnout vor fast 5 Jahren und natürlich „Mutter werden“ hat meine Seele für Reflexion und Wachstum noch einmal stark geöffnet. Was auch zu einer Neugründung geführt hat.

Als Konsument*in verliert man leicht den Überblick; es gibt Müllbeutel aus biologisch abbaubaren Material, aus recycelten Stoffen, Papiertüten und und und. Warum sollten wir in Zukunft zur WILD Bag greifen?

Nadia: Die WILDBAG ist der einzige Müllbeutel, der die Welt vom Plastikmüll befreit. Jede einzelne WILDBAG besteht zu 100% aus Plastikmüll, der aus der Umwelt gesammelt wurde. Aus WILDPLASTIC. Wir nennen es Trash for Trash. Jeder Beutel räumt ungefähr 34g Müll auf, indem er aus diesem gesammelten Plastik(müll) beseht. 

Die meisten Müllbeutel, die du heute im Regal findest bestehen zumindest Anteilig aus Neuplastik; Plastik - was extra dafür produziert werden muss. Müllbeutel, die aus Recycling-Plastik bestehen sind schon ein guter Schritt, jedoch ist dieses Plastik ohnehin Teil des (Recycling-)Kreislaufs und räumt nicht die Umwelt auf. Die nachhaltigste Alternative ist: erst gar keinen Müll zu produzieren. Aber für alle, die noch Müllbeutel brauchen, ist die WILDBAG die Alternative mit dem meisten Impact.

Woher stammt das WILDPLASTIC und wie sieht der Herstellungsprozess aus?

Nadia: Das Plastikproblem ist nicht nur ein Umwelt und Klimaproblem, sondern betrifft leider die ärmsten Länder dieser Welt und die Menschen, die dort leben. Denn gerade in den Ländern des globalen Südens fehlt es meist an funktionierenden Abfallsystemen und somit liegt gerade hier sehr, sehr viel – 5Mrd. Tonnen Plastikmüll in der Natur. Wir kooperieren mit Sammelorganisationen vor Ort und nehmen ihnen das Plastik ab, was gerade niemand abnimmt: nämlich LDPE Folienware. Alle sammeln PET, aber wir sind die ersten, die eben die Folienware aus der Umwelt holen. Das heißt Trinkwasserbeutel etc. 

Das WILDE PLASTIK wird vor Ort sortiert und gewaschen, in manchen Fällen – wenn die Strukturen vor Ort vorhanden sind – wird es auch recycelt/ granuliert, ansonsten kommt es fürs Recycling nach Europa. Dann wird das Granulat zu unserem Produktionspartner nach Deutschland transportiert, wo die WILDBAGs hergestellt werden. 

Habt ihr vor, noch andere Produkte zu launchen? Wo siehst du euch in 10 Jahren?

Nadia: Ja, haben wir. Die WILDBAG ist unser erstes Produkt. Wir bauen eine Marke auf unter der es verschiedene Produkte aus 100% WILDPLASTIC geben wird. In 10 Jahren haben wir hoffentlich die 5Mrd Tonnen Plastik aufgeräumt und es wird kein Neuplastik mehr produziert. Das ist leider utopisch. Doch wir wollen zumindest nicht nur „reden“ sondern „tun“ und unseren Teil zur Lösung des Problems beitragen. Und dafür braucht es viele von uns, eigentlich alle!

Im Grunde hoffe ich, dass wir uns irgendwann selbst abschaffen. Denn, wenn es kein Plastik zum Aufräumen mehr gibt, braucht es auch uns nicht mehr.