So schaffen wir es die Jugend einzubeziehen

Die Brücke schlagen zwischen Verbandsengagement und Social Entrepreneurship. 

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by Philipp von der Wippel, July 14, 2017
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Am ProjectTogether Roundtable “Engagement neu denken” haben VertreterInnen von Jugendparteien, Wohlfahrtsverbänden und Stiftungen in den Räumen der BMW Foundation erarbeitet, wie die Stärken von Verbandsengagement und eigenen Initiativen sich gegenseitig befördern können. Die wichtigsten Gedanken des Roundtable skizziert ProjectTogether in diesem Artikel.

Die Jugend fehlt

Diese Vorurteile sind weit verbreitet - meistens hört man sie als impliziten Vorwurf von der älteren Generation an die Jüngere. Wenn wir uns die großen Trends des klassischen Verbandsengagement anschauen, dann könnte man tatsächlich leicht glauben, dass eben diese Vorurteile womöglich gar nicht so weit weg von der Realität liegen: Jugendparteien, Jugendverbände und Wohlfahrtsverbände klagen weitestgehend über abnehmende Mitgliederzahlen - die Abwanderungsrate ist zumeist größer als der Nachwuchs. Darüber hinaus sind es oft nur wenige Mitglieder, die sich nachhaltig aktiv engagieren und Ownership übernehmen - die Bindung an den Verband gestaltet sich immer schwieriger. Ob von den Kirchen, von den Parteien, von den Trägern der Wohlfahrt - von überall tönt oft derselbe Chorus: Die Jugend fehlt. 

Wir müssen neu denken

Gleichzeitig erleben wir bei ProjectTogether, wie die sozialen Initiativen von jungen Machern nur so aus dem Boden sprießen. Zum Bespiel in Reaktion auf die Flüchtlingswelle im September 2015 sind hunderte Projekte entstanden, um das Leben der Geflüchteten zu unterstützen. Das Gleiche im Fall von Brexit, Trump und Rechtspopulismus: Es wimmelt geradezu an jungen Menschen, die sich engagieren und einbringen will. Unsere Generation begeistert es, ein Herzens-Anliegen anzupacken und mit eigenem Einsatz etwas verändern zu können. Alle Generationsstudien bekräftigen, dass sinnvolle Tätigkeit für keine Generation zuvor solch eine wichtige Rolle gespielt hat. In der Gesellschaft Handlung zu ergreifen und durch das eigene Handeln die initiierte Veränderung hautnah spüren zu können - das erfüllt viele von uns. Diese Form von sehr intensivem (teilweise unternehmerischem) Engagement findet in der Regel jenseits bestehender Organisationen statt, sondern ist geprägt von Eigeninitiative und unternehmerischer Denkweise - neu denken, schnell handeln, experimentieren. 

Es kann also nicht der fehlende Wille der Grund für mangelndes Engagement im klassischen Sinne (Partei, Verband, etc.) sein. Vielmehr scheint es so zu sein, dass sich die Bedürfnisse von vielen jungen Menschen mit den gegenwärtigen Strukturen beißen. Viele Jugendliche fühlen sich nicht angesprochen und finden nicht den passenden Zugang, sich “klassisch” in die Gesellschaft einzubringen.

Die Bedürfnisse erfüllen

Ich möchte nun die Bedürfnisse der jungen Generation grob umreißen, damit wir besser verstehen, was die Gründe für das oben beschriebene Phänomen des Mitgliederschwunds sind. In meinen Augen lassen sich die Bedürfnisse, die sich gegenüber vorhergehenden Generationen im Umgang mit Engagement geändert haben, auf drei Schlagworte herunter brechen: Thema, Zeit, Nutzenmaximierung. 

Thema

Während früher die Gemeinschaft der primäre Beweggrund für zivilgesellschaftliches Engagement gewesen ist, ist heute die Leidenschaft im Thema verankert. Engagement ist nicht mehr an den Heimatort gebunden. Denn viele junge Menschen verlassen nach der Schule, Ausbildung oder Studium ihr Zuhause. Menschliche Beziehungen werden dann über geographische Distanzen gelebt. 

Dadurch ist die eigene Identifikation mit den Personen im Nahbereich geringer. Durch diese Entkoppelung von Engagement und Geselligkeit rückt das Thema des Engagements in den Vordergrund: Die Motivation sich zu engagieren ist nicht so sehr Freundschaften zu knüpfen, sondern in einem bestimmten gesellschaftlichen Problem etwas zu verändern. Klassisches Engagement in Verbänden und Parteien ist jedoch auf regionale Bindung und weniger auf thematische Tiefe ausgerichtet. Wer sich dort engagiert, hat mit einer Vielzahl an Themen zu tun und kann nur selten ausschließlich an einem Lieblingsthema arbeiten. Das Bedürfnis nach regionaler Flexibilität und thematische Tiefe kann in Verbänden und Parteien oft nicht befriedigt werden. 

Zeit

Junge Menschen scheuen zunehmend, Verpflichtungen über mehrere Jahre einzugehen. Dafür ist die Lebensplanung zu schnelllebig: Ziele und Umstände ändern sich rasant. Was heute für einen persönlich wichtig ist, kann in einem halben Jahr schon an Priorität verloren haben. Ämter in Verbände und Parteien sind jedoch oft langwidrig - das Commitment für mehrere Jahre ist zumeist gefordert. Dazu kommt noch regelmäßige (oft wöchentliche) Präsenz. Kontinuierliche Verpflichtungen werden leicht zum Klotz am Bein - insbesondere wenn der anfängliche Enthusiasmus weicht. Stattdessen ist punktuelles und intensives Engagement attraktiv - in kurzer Zeit viel bewegen, ohne langfristige Pflichten einzugehen. Initiativen sind zumeist zeitlich beschränkt: Sie haben ein greifbares Ziel - und damit auch einen Anfang und ein Ende. 

Nutzenmaximierung

Die zeitliche Verfügbarkeit für Engagement von jungen Leuten wird immer geringer. Die Stundenpläne sind voll und der Beruf ist fordernd. Außerdem besteht ein Überangebot an Freizeitangeboten. Engagement ist in starker Konkurrenz und deshalb wird genau abgewägt. Dieses Abwägen zwischen Möglichkeiten der Freizeitgestaltung erhöht die Nutzenmaximierung: “Die wenige Zeit, die ich für Engagement habe, soll gut investiert sein.” Die junge Generation begreift Engagement nicht als Selbstzweck - es reicht nicht, irgendetwas Gutes zu tun und sich dabei gut zu fühlen, sondern der eigene Einsatz soll sich wirklich lohnen. Dies wirft die Frage auf: Wie kann der Input an Zeit zu maximal viel gesellschaftlicher Wirkung führen? Innerhalb von Verbänden und Parteien ist die Wirkung des einzelnen schwer zu identifiziere. Zumindest die subjektive Wahrnehmung ist oft, dass der eigene Einsatz im großen System keine entscheidende Rolle spielt - “ohne mich würde es auch ganz gut klappen.” Im Kontrast dazu stehen eigene Initiativen. Denn wenn man etwas selbst in die Hand nimmt, dann hängt alles vom eigenen Handeln ab - man kann so richtig die Veränderung im Tun spüren. Ob die tatsächliche Wirkung immer so viel größer ist, das ist eine andere Frage - aber subjektiv fühlt es sich so an. 

Trotz alledem sind die einmaligen Stärken von bestehenden Verbandsstrukturen nicht zu verkennen: Während Initiativen oftmals ohne jegliche Infrastruktur starten, sind Rahmenbedingungen in gefestigten Strukturen vorhanden. Dies umfasst den Zugang zu einem Netzwerk, zuverlässige Unterstützer, und einen Bekanntheitsgrad der Marke, aber auch gesammeltes Erfahrungswissen, rechtliche und finanzielle Sicherheit und Kontinuität der Tätigkeiten über einen längeren Zeitraum. 

Aktuell vermittelt der öffentliche Diskurs oftmals, dass Engagement in Verbänden und Engagement in selbst gestarteten Initiativen zwei separate Tätigkeiten sind, die nicht miteinander zu vereinbaren sind. Doch diese Unterscheidung ist unzutreffend, denn beides muss sich nicht ausschließen. Vielmehr sollte beides miteinander verbunden werden: Die Stärken von Verbänden und die Stärken von Eigeninitiativen können zusammengebracht werden. Dafür braucht es von beiden Seiten die Bereitschaft, Neugierde und Offenheit. Erste erfolgreiche Pilotprojekte zeigen, wie viel mehr bewirkt werden kann, wenn junge Macher unter dem Dach großer Organisationen eigene Initiativen starten. Mitglied in einem Verband zu sein und dort eine eigene Initiative zu starten kann ein neues Erfolgskonzept werden. Es ist Zeit dafür. Denn in Zeiten von Brexit und Trump ist es wichtiger wie nie zuvor, den Wunsch nach mehr Einflussnahme der Jugendlichen aufzugreifen, sie zu eigenen Wegen zu motivieren und auf selbigen zu begleiten. 

Kurze Zusammenfassung:

  • "Es sind oft nur wenige Mitglieder, die sich nachhaltig aktiv engagieren und Verantwortung übernehmen."
  • "Es wimmelt geradezu an jungen Menschen, die sich engagieren und einbringen wollen."
  • "Diese Form von sehr intensivem (teilweise unternehmerischem) Engagement findet derzeit in der Regel jenseits bestehender Organisationen statt, und ist geprägt von Eigeninitiative und unternehmerischer Denkweise - neu denken, schnell handeln, experimentieren."
  • "Was heute für einen persönlich wichtig ist, kann in einem halben Jahr schon an Priorität verloren haben. Ämter in Verbände und Parteien sind jedoch oft langwierig."
  • "Viele Jugendliche fühlen sich von bestehenden Strukturen nicht angesprochen und finden nicht den passenden Zugang, sich in die Gesellschaft einzubringen."
  • Innerhalb von Verbänden und Parteien ist die Wirkung des einzelnen schwer zu identifizieren.
  • "Während früher die Gemeinschaft der primäre Beweggrund für zivilgesellschaftliches Engagement gewesen ist, ist heute vor allem die Leidenschaft im Thema verankert."

Über den Autor

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Philipp von der Wippel ist Mitgründer des Sozialunternehmens ProjectTogether. Seine Schwerpunkte liegen in der Gestaltung der Zivilgesellschaft und innovativen Formen von Engagement. Nach seinem Abitur in München arbeitete er für die BMW Stiftung Herbert Quandt in Berlin. Seit 2015 studiert er Philosophie, Politikwissenschaft und Volkswirtschaft an der Universität Oxford.

Möchtest du mit dem Autor in Kontakt treten?

Philipp von der Wippel, pvonderwippel@projecttogether.org

(Bemerkung: Der Artikel hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit und spiegelt die Meinung des Autors wider. Er ist an der einen oder anderen Stelle womöglich ein wenig überzeichnet oder generalisiert. Es ist ein Versuch, die gegenwärtige Situation und deren Gründe in Worte zu fassen.)