Eine Kosmetikfirma, die Schönheitsideale ablehnt

i+m Kosmetik wurde von einer Feministin gegründet und spendet seine Gewinne an ein Frauenhaus.

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von Naomi Ryland, November 21, 2017
i+m Kosmetik

Naturkosmetik ist 2017 im Mainstream angekommen. Seit einem Jahr befindet sich auch die kleine Berliner Marke i+m NATURKOSMETIK in den Regalen bei DM. Aber die Firma gibt es schon seit 1978 - schon lange vor dem Hype. Und das macht sie anders.

Durch Zufall haben wir Luisa Biedermann, Online Marketing Managerin, auf einer Veranstaltung getroffen und waren sofort begeistert von der Leidenschaft und der Konsequenz mit dem das Unternehmen das (mittlerweile inflationäre Wort) "Fair" lebt. 40% der i+m Gewinne werden gespendet und sie arbeiten nach dem holokratischen Prinzip. Was das für sie als Team bedeutet, erzählen sie und eine der Geschäftsführer*innen, Verena Zydek, im Interview. 

Naturkosmetik gibt es mittlerweile wie Sand am Meer. Kannst Du uns erzählen, was i+m besonders macht?

Luisa: Wir stehen für unsere Überzeugungen ein und das bereits seit 1978. i+m ist von Inge Stamm in einer hochpolitischen Zeit gegründet worden und sie selbst war immer politisch aktiv und ist überzeugte Feministin. Das ist etwas, das wir bis heute sind: politisch! Diesen Ansatz mit einer Kosmetikmarke zu verbinden ist nicht immer ganz einfach aber ich bin davon überzeugt, dass genau das einer der Punkte ist, der uns von anderen abhebt. 

Verena: Zudem entsprechen all unsere Produkte den höchsten Zertifizierungsstandards. Wir prüfen genau, welche Rohstoffe und Qualitäten in den Kessel kommen und verzichten schon seit 2000 auf tierische Inhaltsstoffe. Vegan war damals vielen noch überhaupt kein Begriff. Zudem kennen wir die meisten unserer Rohstoffproduzenten schon seit langem und konnten langfristige Partnerschaften aufbauen. Wir lehnen gesellschaftliche und von der Werbeindustrie vorgegebene Schönheitsideale strikt ab, ebenso wie übertriebene Wirkversprechen. Darüber hinaus fließen 40 % der i+m Gewinne in öko-faire Projekte. All dies sind Punkte, die von den i+m Verwender*innen sehr geschätzt werden. Und ja, die uns hoffentlich auch ein bisschen besonders machen ;)

Wie werden Eure Werte wirklich tagtäglich im Unternehmen gelebt?

Verena: Wir identifizieren uns mit drei Werten, die auch auf all unseren Produkten stehen: FAIR, ORGANIC, VEGAN.

Das klingt erstmal nach plakativen Schlagwörtern, aber wir versuchen diese Werte in unseren Alltag einzubauen. Wir Mitarbeiter pflegen ein respektvolles und faires Arbeiten. So gibt es bei uns im Team keine festen Hierarchien und wir alle gestalten das Unternehmen mit. Beispielsweise waren wir gerade für einen Nachhaltigkeits-Preis nominiert und besprechen gemeinsam wer zur Preisverleihung geht, ganz ungeachtet der Position, sondern der Relevanz der eigenen Arbeitsbereiche. 

Wir nutzen nachhaltige Büromaterialien und Anschaffungen sind bei uns möglichst nachhaltig, das geht vom Bio-Obst für lange Meetings bis hin zum ökologischen Serverhosting für unsere Webseite. 

Luisa: Ich schätze besonders, dass wir auf Augenhöhe arbeiten und uns eher nach Kompetenzen aufteilen als nach Hierarchien. Im Arbeitsalltag habe ich immer das Gefühl, dass wir sehr respektvoll miteinander umgehen, manchmal schon fast familiär. Wir essen oft gemeinsam und haben vor kurzem regelmäßige Lunch-Dates eingeführt. Jeder geht mal mit jedem essen. So hat man die Möglichkeit in anderer Umgebung auch mal schwierige Themen anzusprechen. Einfach eine schöne Zeit haben geht natürlich auch!

Holokratie ist gerade in aller Munde, aber die wenigsten schaffen es wirklich. Wie habt ihr es geschafft?

Luisa: Ganz demokratisch: unser Chef wollte es so! ☺Nee, Spaß beiseite. Der Vorschlag kam tatsächlich von Jörg von Kruse, einem der Inhaber (und Geschäftsführer) von i+m, der sich mehr und mehr mit dem Thema auseinandergesetzt hat. Ich selbst bin erst seit Juni bei i+m und meine erste Arbeitswoche begann mit dem ersten „richtigen“ Reinventing i+m Workshop. Das war ziemlich cool, aber auch ziemlich anstrengend. Ich glaube, wir schaffen es, weil wir es alle als Prozess sehen, der organisch ist und sich entwickelt. Da gibt es dann auch mal Bedenken oder Schritte sind nicht allen radikal genug. Aber genau darum geht es ja auch: dass wir ein diverser, organischer Haufen sind, in dem alle anders ticken und trotzdem ein Ziel vor Augen haben: Change the World with Beauty. 

Verena: Genau! Anfang des Jahres haben wir beschlossen den FAIR Gedanken noch weiter auszubauen und uns auf den Weg in die Holokratie zu machen. Ganz nach dem Motto „i+m will die Welt verändern – und fasst sich daher erstmal an die eigene Nase!“. Wir haben uns zum Ziel gesetzt unser Unternehmen von innen weiter zu entwickeln – hin zu mehr Sinn, mehr Verantwortung und mehr Freude am Arbeiten. Eigentlich ist der Begriff „Holokratie“ etwas zu eng, weil er nur das Thema Selbstführung bzw. Selbstorganisation umkreist. Uns geht es aber auch um Ganzheitlichkeit des Menschen am Arbeitsplatz und die Ausrichtung des Unternehmens auf einen evolutionären Sinn. Frederic Laloux beschreibt dies in seinem Buch „Reinventing Organizations“, an dem wir uns orientieren, aber keinesfalls als den Masterplan sehen. Ähnlich wie Laloux betrachten wir unser Unternehmen nicht als Maschine, sondern als ein lebendiges System, das sich ständig weiterentwickelt und bewegt. Die Themen Selbstführung und sinnstiftendes Arbeiten tingeln schon länger durch unsere kleine Remise im Prenzlauer Berg. Daran haben wir nun angeknüpft und seit Januar schon sehr viel erreicht. Doch der Weg zur vollständigen Transformation von i+m in ein holokratisches oder reinvented Unternehmen ist noch lang. Wir gehen gemeinsam mit großen und manchmal kleinen Schritten voran. Es soll ja niemand auf der Strecke verloren gehen :)

Bewohner des Frauenhauses, das mit 40% des Gewinnes von i+m Naturkosmetik unterstützt wird. 

Welche Besonderheiten muss man Eurer Meinung nach mitbringen, um sich in einem holokratischen Team wohl zu fühlen?

Luisa: Nichts allzu Besonderes. Spaß und einen Zugang zum Thema oder Produkt hilft auf jeden Fall. Offenheit ist unglaublich wichtig, weil sich im Holokratie-Prozess viele Veränderungen auftun. Manchmal entstehen Probleme an Stellen, die gar niemand gesehen hat. Da hilft es dann, nicht zu sehr in festen Mustern und Strukturen zu denken und bereit zu sein, das Ganze auch mal aus einer ganz anderen Perspektive zu sehen. Ich glaube, dass es hilft schon früher in selbstorganisierten Strukturen gearbeitet zu haben und Mut zur Verantwortung zu haben. Ich habe zuvor in recht starren Strukturen gearbeitet und war darüber oft unglücklich. Hier kann ich zumindest versuchen alles so zu machen, wie ich es mir immer gewünscht habe. Das funktioniert natürlich nicht immer, aber oft!

Verena: Ich kann noch hinzufügen, dass eigenverantwortliche Arbeit wohl das A und O ist: In der Lage sein sich seine Arbeit(s)Zeiten selbst einzuteilen, aber eben auch Urlaub und Abwesenheiten selbst zu planen. Du darfst keine Scheu davor haben Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen zu treffen, die auch eine größere Tragweite haben können. In einem holokratisch organisierten Team hat jeder die Möglichkeit, sich seine Rolle zu schaffen oder auszubauen, ganz ungeachtet dessen, welchen „Titel“ er oder sie eigentlich trägt. Dabei ist der Teamgedanke natürlich ganz wichtig: Nicht nur Freude daran zu haben, im Team zu arbeiten, gut und gerne zu kommunizieren, sondern auch die Firma als ein Team zu sehen und nicht als eine Organisation aus verschiedenen Bereichen oder Abteilungen. Und zu guter Letzt: wer Verantwortung in einer Unternehmensstruktur übernimmt, sollte auch unternehmerisches Denken mitbringen. Das muss nicht unbedingt die Fähigkeit sein, einen Businessplan schreiben zu können, sondern kann auch ein gutes Gespür für Trends oder unsere Kunden sein. 

Was sind die besonderen Herausforderungen bei Euch und wie werden sie gemeistert?

Verena: Auch wenn es oft gesagt wird: Kommunikation! Immer offen zueinander sein, kontinuierlich miteinander reden und am allerwichtigsten: ein Gespräch nicht scheuen, wenn es unangenehm sein könnte. Wir müssen uns zudem extrem gut organisieren, nicht nur als Team, sondern auch jede*r Einzelne. Passiert das nicht, kann schnell Überforderung das Resultat sein. Zudem habe ich das Gefühl, dass wir alle noch daran arbeiten müssen, unser immer noch vorhandenes hierarchisches Denken innerhalb des Teams abzubauen. Im nächsten Jahr möchte ich z.B. keinen Urlaub mehr „abnicken“. Das ist einfach überflüssig, weil ich jedem hier vertraue nicht in den Urlaub zu fahren, wenn für keine Vertretung gesorgt ist oder wichtige Projekte anstehen. 

Wir versuchen diese Herausforderungen durch unsere regelmäßigen monatlichen Treffen zu meistern, in denen wir uns in der Regel einen ganzen oder bei besonders komplexen Themen sogar mehrere Tage mit uns als Team und den Herausforderungen beschäftigen und Lösungen erarbeiten.

Luisa: Verena hat eigentlich schon die Kernpunkte genannt. Ich würde noch Zeit und Finanzen hinzufügen. Wir sind ein kleines Team und müssen immer flexibel bleiben, um keine Trends zu verpassen. Zudem verfügen wir über kein fest definiertes Marketingbudget, weil wir 40 % unseres Gewinnes spenden, anstatt in Marketingkampagnen zu investieren. Wenn wir Geld ausgeben, müssen wir deswegen sehr genau hinschauen und evaluieren, ob sich die Investition lohnt. Ich hoffe, dass wir uns in Zukunft durch finanzielle Stabilität mehr Freiheiten und auch Flexibilität erarbeiten können. Auch dann wird es sicherlich immer eine Herausforderung bleiben unser Ziel Gutes zu tun, nicht aus den Augen zu verlieren. 

Wo seht ihr i+m in 5 Jahren?

Verena: In der Holokratie angekommen! Unser Büro hat sich dann noch ein bisschen mehr gefüllt und es arbeiten noch mehr liebe Kolleg*innen bei i+m. Überschaubar sollte es aber trotzdem bleiben :) Aktuell sind wir zu elft und wir werden sicher noch etwas Unterstützung benötigen. i+m soll aber aus eigener Kraft und gesund wachsen und nicht zu einem Großkonzernunternehmen mutieren. 

Luisa: Das hoffe ich auch! Ich stelle mir vor, dass wir dann stetig gewachsen sind und immer noch mit einer Fülle an innovativen Produkten, die Welt ein kleines bisschen besser machen. Zudem hoffe ich, dass wir den ständig wachsenden Naturkosmetikmarkt auch dann noch bereichern und die Konsumenten begreifen, dass eine grüne Schrift auf der Verpackung noch lange keine Naturkosmetik ausmacht. 

Vielen Dank Luisa und Verena! 

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