Integration endet nicht mit einem Döner

Mit 'Tausche Bildung für Wohnen' können junge Menschen kostenlos wohnen. Im Tausch dafür kümmern sie sich um benachteiligte Kinder.

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von Susanna Eder, April 2, 2017
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ursprünglich erschienen: 15.06.2016

Der Stadtteil Marxloh in Duisburg machte als sozialer Brennpunkt deutschlandweit Schlagzeilen – Christine Bleks, Initiatorin des Sozialunternehmens Tausche Bildung für Wohnen, sieht in Marxloh vor allem eines: Potential.

Wenn es um den beliebtesten Fast Food Snack der Deutschen geht, ist der Döner Kebab hoch im Kurs. Das türkische Gericht hat es den Deutschen angetan. Jahr für Jahr wird er unter die „Top Ten“ der Fast Food Gerichte gewählt.

„Wie kann man eine Dönerbude wollen, aber nicht den Türken dazu?“ – Christine Bleks kann sich ganz schön in Rage reden, wenn es um das Thema Migration geht. Und im Stadtteil Marxloh in Duisburg ist das allgegenwärtig. „Nur 30 Prozent hier sind Deutsche“, sagt Christine, Mitgründerin des Sozialunternehmens Tausche Bildung für Wohnen, das jungen Menschen kostenlos ein WG-Zimmer zur Verfügung stellt. Im Gegenzug übernehmen die WG-Bewohner Bildungspatenschaften für rund 70 Kinder und Jugendliche im Viertel, die als „sozial benachteiligt“ gelten. Sie unterstützen bei den Hausaufgaben, geben Nachhilfe oder machen Ausflüge mit den Kindern.

Der Stadtteil Marxloh wird oft als „Problemviertel“ bezeichnet. Die Integration sei gescheitert, heißt es. Sogar Kanzlerin Angela Merkel war im vergangenen Jahr zu einem Bürgerdialog zu Besuch, an dem auch Christine dabei war.       

Mustafa Tazeoğlu, der Tausche Bildung für Wohnen vor fünf Jahren mit ins Leben gerufen hat, wisse selbst wie es ist ein Türke aus Marxloh zu sein, erzählt Christine. Auch seine Eltern konnten nicht perfekt Deutsch, so wie das bei vielen Kindern im Projekt der Fall ist. Durch die Freundschaft mit einem deutschen Jungen im Gymnasium sei ihm eine ganz neue Welt eröffnet worden. Er ging mit der Familie ins Theater und ins Museum und lernte Marxloh so von einer anderen Seite kennen.

Genau wie die Bildungspaten und ihre Schützlinge heute.

„Den Menschen, mit denen wir arbeiten, geht es weniger gut als dem Durchschnitt“, sagt Christine. Geld für Freizeitaktivitäten bliebe da nicht. „Für die meisten Bewohner von Marxloh endet ihre Welt an der Stadtgrenze“, so Christine. Das wollen die beiden Sozialunternehmer ändern.                        

 „Wir machen das weil wir´s können", sagt Christine. "Ich halte nichts von dieser Helfer-Philosophie.“ Mit ihrer Idee hätten sie eine innovative Lösung für die Herausforderungen in Marxloh gehabt. Mehr nicht. Die Kinder bekommen Vorbilder, die sie auf ihrem Lebensweg begleiten. Gleichzeitig zieht der Stadtteil Marxloh junge und gut ausgebildete Leute an.

Und die Paten? Bekommen eine kostenlose Wohnung.

Was Christine ärgert ist, wenn die Kinder als „sozial benachteiligt“ bezeichnet werden. „Die Kinder sind nicht sozial benachteiligt, sondern sozial hochgradig kompetent.“ Alle Kinder würden zwei, manche sogar drei verschiedene Sprachen sprechen. Das sei ein Potential, was erkannt und gefördert werden sollte. „Die Menschen in Marxloh sind keine defizitären Wesen, denen geholfen werden muss“, sagt Christine. "Uns geht es darum, dass nicht vorschnell geurteilt wird über die Menschen hier." Die Probleme des Stadtteils lägen zu einem großen Teil auch an seinem Image. „Ja, wir haben hier Müll. Leute werden bedroht. Das will ich nicht schmälern.“ Aber vor allen Dingen erlebe man in Marxloh eines: Menschlichkeit. „Wir müssen offen für das Fremde bleiben“, sagt Christine. Denn nur durch Erleben und Begegnung könnten Vorurteile abgebaut werden.

Während Christine sagt, dass sie sich nicht an der ständigen Debatte über Integration beteiligen will, wurde ihr Projekt schon vor seiner Umsetzung mehrfach in den Bereichen Bildung und Integration ausgezeichnet. „Mir soll überhaupt mal jemand sagen, was typisch deutsch ist", sagt Christine.  

Auf Platz eins der Fast-Food Gerichte wählten die Deutschen übrigens laut der Süddeutschen Zeitung die Pizzaschnitte. Nun – nicht gerade ein deutsches Traditionsgericht. 

Ein paar Fragen an Anne Dörner, die für die Gründungsförderung der Social Entrepreneurship Akademie verantwortlich ist.

Interview mit Anne:

Seit wann kennen sich Tausche Bildung für Wohnen und die Social Entrepreneurship Akademie?

Tausche Bildung für Wohnen war das erste Gewinnerteam bei unserem Act for Impact Wettbewerb 2012. Seitdem stehen wir mit Christine und Mustafa in Verbindung.                                                                                                       

Welche Entwicklung sticht bei Tausche Bildung für Wohnen für dich besonders hervor?

In jedem Projekt kommt es irgendwann vor, dass man einen Knoten im Kopf hat und überhaupt nicht mehr geradeaus denken kann. An dem Punkt waren Christine und Mustafa bei unserem ersten Treffen. Ich hatte schnell das Gefühl, dass hier zwei extrem engagierte und kompetente Menschen vor mir sitzen, die aber gerade mit einer unterschiedlichen Projektidee im Kopf unterwegs sind. Prinzipiell haben sich ihre Kompetenzen perfekt ergänzt. Es war nur wichtig, dass sie wieder dasselbe Ziel vor Augen haben. Das hat unheimlich viel Entspannung gebracht, denke ich. Zu sehen, dass nicht jeder an alles denken muss, sondern es darauf ankommt, dass das Ganze stimmig ist.

Wie kann ich Kontakt zu Tausche Bildung für Wohnen aufnehmen?

Auf ihrer Webseite oder auf Facebook.