Das Grundeinkommen ist ein emanzipatorischer Schritt

Amira Jehia über die Kampagne "Mensch in Germany", die sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen einsetzt und warum dieser Schritt gerade für Frauen* relevant ist.

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von Sofia Jacobi, May 6, 2020
Amira Jehia

Amira Jehia als "engagiert" zu bezeichnen ist eine riesengroße Untertreibung. Die Berlinerin hat in ihren jungen Jahren schon so viele Sachen angestoßen, wie andere Menschen vermutlich in einem ganzen Leben nicht. Sie war Geschäftsführerin des Vereins Mein Grundeinkommen, produzierte faire Turnschuhe und Rücksäcke unter dem Label Karma Classics und hat das faire Modelabel kind of blau mitgegründet, welches nicht nur schöne Klamotten vertreibt, sondern zusammen mit dem damit verbundenen Verein Drip by Drip e.V. ein breites Bewusstsein für die Wasserverschwendung und -verschmutzung der Textilindustrie schaffen möchte und diesbezüglich aufklärt. Klar, dass wir, als wir erfahren haben, dass Amira mit weiteren Mitstreiter*innen eine neue Kampagne mit dem klingenden Namen "Mensch in Germany" ins Leben gerufen hat, sofort wissen mussten, um was es geht und sie um ein Interview gebeten haben.

Um was handelt es sich bei der Mensch in Germany Kampagne und wie kam es dazu?

Amira: Die Mensch In Germany Kampagne begleitet die Bundestagspetition 108191, die fordert “dass aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona Pandemie und der damit verbundenen Einkommensausfälle für viele Bürgerinnen und Bürger, kurzfristig und zeitlich begrenzt, aber solange wie notwendig, ein Bedingungsloses Grundeinkommen für alle Bürgerinnen und Bürger eingeführt wird.” Unsere Petition ist mit über 175.000 Unterschriften zur größten online Petition überhaupt an den Bundestag geworden. Offenbar stimmen viele Menschen mit uns darüber ein, dass es gerade jetzt, in Zeiten der Krise, in der vielen Menschen das existenzsichernde Einkommen weg bricht, eine Lösung braucht. Hinter der Petition steht ein Netzwerk an Frauen, zu dem ich gehöre, das sich für die Einführung des Grundeinkommens aus Sicht der Frauen stark macht – namens LysistraTax.

Die Coronakrise zeigt, dass die Gleichberechtigung durch unvorhergesehene Ereignisse in wenigen Tagen meilenweit zurück geworfen werden kann. Und besonders weit sind wir damit eh noch nicht, wenn man sich beispielsweise die Zahlen der Altersarmut anschaut, die weit häufiger Frauen betrifft, weil sie durch Phasen der Kinderbetreuung oder Pflege von Verwandten aus ihrem ursprünglichen Berufsleben ausscheiden. Care-Arbeit allgemein wird in Deutschland nach wie vor als Tätigkeit betrachtet, die eben zur Rolle der Frau dazugehört. Wir wollen, dass dieses Fundament aller Wertschöpfung in unserem Land endlich gewürdigt wird. Ein bedingungsloses Grundeinkommen könnte ein erster Schritt dorthin sein.

Es gibt ja bereits einige Organisationen, die sich für die Einführung eines Grundeinkommens stark machen, warum habt ihr lieber selber etwas gestartet, als dort mitzumachen?

Amira: Ich selbst habe die wohl größte Grundeinkommens-Initiative Mein Grundeinkommen aufgebaut und vor drei Jahren verlassen. Was den meisten von Ihnen fehlt ist eine Vision davon wie das Grundeinkommen tatsächlich eingeführt werden kann. Sie konzentrieren sich darauf die Debatte anzuregen und die Politik zu Studien und Feldversuchen zu animieren. Was für positive Effekte zu erwarten sind wissen wir allerdings schon von zahlreichen internationalen Pilotprojekten und Studien. Was wir wirklich brauchen sind konkrete Handlungsempfehlungen an Politik und Zivilgesellschaft. Hinzu kommt, dass die Debatte in Deutschland fast ausschließlich männlich geprägt ist, dabei sind die Hebel für Frauen* und Kinder mit am größten, gerade in Sachen Emanzipation. Diese Perspektive eint unser Netzwerk, das aus Frauen mit und ohne Kinder, verschiedener Altersgruppen und unterschiedlichster beruflicher Werdegänge besteht. 

Warum seid ihr der Ansicht, dass die Menschen in Germany ein Grundeinkommen brauchen? Immerhin haben wir ja Arbeitslosengeld und andere Absicherungen.

Amira: ALG I und II sind weder bedingungslos, noch universell und existenzsichernd. Den sehr komplexen Anträgen folgt ein langer Prozess, im Laufe dessen man sich buchstäblich “nackt” machen muss. Erspartes muss aufgebraucht werden, die Familie muss unterstützen, wenn sie kann, usw. Damit wird die Existenz noch mehr bedroht und die Abhängigkeit von anderen geradezu forciert. Zu guter Letzt, kann das Existenzminimum dann auch noch bis auf 0 € gekürzt werden, wenn beispielsweise Termine versäumt wurden. Nun habe ich selbst schon Termine beim Arbeitsamt versäumt, weil ich das System nicht gänzlich verstanden habe. Die Schreiben sind meist in Beamtendeutsch verfasst, was auch ich mit Master als höchstem Bildungsabschluss nicht immer verstehe. Grundsätzlich halten wird es aber für falsch Menschen in unserem Land unter dem Existenzminimum leben zu lassen, denn wir können uns eine echte Absicherung des Mindestbedarfs leisten. Wenn wir endlich richtig priorisieren. Eben den Menschen und nicht die Produktion in Deutschland an erste Stelle setzen.

An welchem Punkt steht ihr und wie geht es weiter?

Amira: Unser Netzwerk steht noch ganz am Anfang. Wir haben noch vieles vor. Die Mensch in Germany Kampagne war erst der spontane Anfang, der aus der aktuellen Gesamtsituation heraus geboren ist. Die Petition war viel erfolgreicher als wir es zu hoffen gewagt hatten. Mittlerweile arbeiten wir gemeinsam mit einem Bündnis aus anderen Grundeinkommensinitiativen und Organisationen an den nächsten Schritten. Denn die Anhörung vor dem Petitionsausschuss kann nicht bis Herbst warten. das nächste Ziel ist es deshalb den Termin der Anhörung zu weit wie möglich vorzuverlegen. Dazu startet am 7. Mai eine weitere Kampagne. Über www.mensch-in-germany.org bieten wir schon vorher die Möglichkeit unsere Petition offline via Postkarte mitzuzeichnen. Je mehr Unterschriften wir bis zur Anhörung erreichen, desto größer der Effekt.

Habt ihr konkrete Aktionen geplant? Wie erreicht ihr eure Supporter?

Amira: Aktionen wird es mindestens in diesem und im kommenden Jahr noch einige von uns geben. Was konkret aus unserem reichen Ideenpool umgesetzt wird, steht noch nicht fest. Da wir alle aus der mittlerweile sehr starken Grundeinkommens-Community kommen und darüber hinaus beruflich viele unterschiedliche Netzwerke haben, erreichen wir bisher vor allem die Menschen, die uns kennen oder das Thema verfolgen. Mit künftigen den Aktionen wollen wir diesen Kreis erweitern und ganz neue Gruppen ansprechen, die vielleicht noch nicht mit dem Thema in Berührung gekommen sind.

Wie kann man euch unterstützen, wenn man durch das Interview Lust darauf bekommen hat?

Unterstützen kann man uns am besten damit unsere Petition mitzuzeichnen oder zu teilen und mit Zeit und Leidenschaft für unser Thema. Wir suchen ständig nach Mitstreiter*innen. Dafür am besten einfach eine Mail an hallo@lysistratax.org schicken und schonmal kurz erklären wer man ist und was man gerne beitragen möchte. Wir melden uns sehr zeitnah und schauen dann, wie es passt. Außerdem kann man uns schon jetzt auch finanziell mit einer Geldspende unterstützen. Jeder gespendete Euro fließt zu 100% in das Ziel der Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens in Deutschland.